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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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schwarze Baskenmütze, zum Blühen gebracht von eingestickten Sternen, von Wedeln und Blättern in Grün, Rosa und Weiß.
    Danke! Hast du sie selbst gemacht? Die ist ja wunderbar!
    Ja, selbst. Eine Ködermütze statt deiner schwarzen Tarnkappe, sagt Marina. Papa hat schon angerufen, wollte dir auch gratulieren.
    Ist er in der Stadt? Was macht er jetzt so?
    Rate mal.
    Keine Ahnung. Sag mal.
    Er will mit skythischem Schmuck Handel treiben. Jemand gräbt die Dinge da im Kaukasus aus, und er will sie hier verkaufen. Schwarz natürlich.
    Und er erwartet Millionenprofite?
    Ja, lacht Marina, wie immer. Da hat auch ein Alter angerufen, wollte auch gratulieren. Ich glaube der von der Torstraße. Warum gibst du deinen Kunden deine Telefonnummer?
    Er ist sehr nett. Wir verstehen uns gut.
    Mehr nicht? Du schaust so oft in den Spiegel. Doch wohl nicht wegen ihm?, kichert Marina.
    Hör auf! Er ist einfach nett!
    Okay., okay., sorry, rudert Marina zurück.
    Den ganzen Vormittag verbringen wir in der Küche. Die schwierigste Aufgabe sind Pirozhki, gebackene Teigtaschen, gefüllt mit Reis und Ei, Ei und Schnittlauch, Kartoffeln und Pilzen, Kohl und Fleisch. Auch unsere Salate sind eine arbeitsaufwendige Angelegenheit. Die Krönung der Tafel soll
Hering im Pelz
sein, ein farbenfroher Wintersalat: Hering, gekochte Kartoffeln, Möhren, Rote Beete – alles in Stücke geschnitten, schichtenweise in einer Schüssel übereinandergelegt und mit einer dünnen Mayonnaise-Schicht bedeckt.
    Schmuck und schön, wie eine Geburtstagstorte!, sagt Marina stolz und stellt die runde Glasschüssel mitten auf den Tisch im Wohnzimmer.
    Ich schaue auf die leeren Stühle und denke an meine Party, wie sie im letzten Jahr war. Als typischer Repräsentant der edlen Zunft der Kunstschaffenden hörte Wladimir, wie immer, niemandem zu und redete nur über sich. Die Russen, zwei Ehepaare, erzählten von ihren Kindern, wie toll und begabt sie sind. Eine Herausforderung für Elisabeth, die an dem Abend als eine Kinderlose auftrat. Sie schickte Wladimir ein fürstliches, wohlwollendes Lächeln und verkündete feierlich, dass sie die Selbstverwirklichung immer höher gestellt habe als die Selbstvermehrung. Um den Zusammenprall der Ambitionen zu verhindern, hob Maria ihr Glas und brachte einen Trinkspruch auf mein 43. Lebensjahr aus.
    Es ist ein wichtiges Jahr, eine wichtige Schnittstelle, an der alle Planetenzyklen beteiligt sind!, sagte Maria sehr laut. Die Erntezeit! Ist die Saat aufgegangen, sind die Träume verwirklicht? Die Eltern werden alt, sie brauchen Hilfe oder sterben – wir werden mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert …
    Lassen wir lieber diese traurige Esoterik. Prost!, nippte ich an meinem Glas.
    Warum traurig? Schau mal genauer hin, wo es dich drückt, und verändere alles, um dir selbst besser gerecht zu werden. Die Sterne sagen, dass es ein exzellentes Alter für Korrekturen ist.
    Als ob es so leicht wäre, das Leben von heute auf morgen zu ändern!
    Doch! Wenn nicht das Leben selbst, dann mindestens unsere Wahrnehmung, sagte Gerald und ließ mit Vehemenz seine asiatischen Saite erklingen. Sein monotoner, schamanischer Klang übertönte die Tisch-Kakophonie, die mich eigentlich immer mehr nervte.
    Ich greife zum Telefon und rufe Wladimir, Maria, Larissa und die anderen an, um ihnen zu sagen, dass ich Zahnschmerzen habe und meinen Geburtstag nicht feiern kann.
    Mama, was ist los?
    Ich habe keine Lust, heute Gäste zu empfangen. Ich habe Lust, spazieren zu gehen, das ist alles.
    Ich setze die neue bunte Mütze auf und gehe raus, in die Stadt, die mir immer Zuflucht vor Kummer und Spleens bietet. Sie ist für mich das, was für die Romantiker Gebirge oder Wälder waren. Die Häuser sind meine Felsen, die Menschen eigenartige Bäume, die Straßen eigensinnige Flüsse.
    Der Alex ist leer. Nur hier und dort eilen verschneite Gestalten vorbei. Im bedeckten Durchgang zwischen dem
Kaufhof
und dem Hotel stehen drei Menschen. Ein Mädchen in kurzer Jacke, einen Streifen nackter Gänsehaut über den tief sitzenden Jeans. Sie hat dunkle, wache Augen, die gleichen wie ihr magerer Vater mit der eckigen Pelzmütze und mit der vorzeitig gealterten, grauen Haut. Die Mutter ist klein und stämmig: breite Waden, rundes Mohairbarett als flauschiger Glorienschein. Die drei beugen sich über das Blatt mit dem
BVG
-Liniennetz. Durch den Tunnel hallen, durch das Echo verstärkt, ihre russischen Worte.
    Brauchen Sie Hilfe?, sage ich und bleibe stehen.
    Ja! Sprechen

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