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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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ich fahre nach Leningrad, und mir steht noch das ganze wunderschön aufregende Leben bevor.
    Jetzt bin ich also eine Tante, während Schura nicht einmal erwachsen geworden ist. Er verachtet mich, weil ich mich mit meinem trivialen Alltag arrangiert habe. Ich habe es aufgegeben, und er wartet immer noch auf ein Wunder.
    Weißt du, da sind enorme Schätze! Es sind Haufen von Tonscherben, irgendwelche Kämme und ein paar Kilo Schmuck! Alles Millionen wert! Ich muss hier im Westen Absatzmöglichkeiten finden – und die Hälfte ist meins.
    Papa, das ist doch Schwarzgräberei, kein seriöser Sammler wird dir die Schätze ohne Papiere abkaufen! Marina steht an der Küchentür.
    Wir finden aber einen unseriösen, lächelt Schura und tippt dabei wie ein Specht in die Tasten seines Handys.
    Tick-tick-tick-tick-tick – wie geht es dir, Marina? – tick-tick-tick-tick.
    Viel zu tun. Muss dringend was für die Schule machen, da ich nachher zur Arbeit geh. – Marina zieht sich in ihr Zimmer zurück, aus dem einige Minuten später wildes Tastenrattern hallt. Ich fühle mich unwohl im Kreuzfeuer dieser beiden kommunizierenden Maschinengewehre.
    Marina braucht Geld für ihre Schüleraustauschreise nach Amerika, dafür jobbt sie als Aufseherin in einem großen Kino am Potsdamer Platz. Schura erzählt über die skythischen Schätze, nach denen jemand an der Schwarzmeerküste illegal für ihn gräbt. Bald bekomme er einen Sack voll, eine Probeladung, die für ihn schon fertig zusammengestellt sei und nur auf eine Gelegenheit warte, die Grenzen zu überqueren. Ferner werde Schura den Ring eines gewissen
Skylos
besitzen, eines legendären skythischen Prinzen.
    Wisst ihr tatsächlich nichts davon? Marina! Komm her, ich möchte euch etwas Interessantes erzählen!, ruft Schura ins Zimmer.
    Der Prinz wurde in einem fernen Jahrhundert bei einem Zusammenstoß mit griechischen Kolonialisten verwundet und gefangengenommen, und er erreichte mit einer Fischladung die ägäische Küste, dann auch noch Rom und Jerusalem. Was er da sieben Jahre getrieben hat, ist nicht klar. Bekannt ist, dass er nach seiner Rückkehr seinen Bruder vom Thron vertrieb und zu einem geschickten Häuptling der Horde wurde, die unter seiner Herrschaft wuchs und prosperierte. Er ließ sich eine Burg auf einem Hügel bauen und lebte da wie ein reicher römischer Patrizier. Er trug weiße Gewänder, trank Rotwein und las Bücher. Bald allerdings wusste die ganze Steppe, dass der Häuptling die einheimischen Sitten verachtete, und seine Herrschaft endete elend. Wegen seines Bades, seines Gartens und vor allem wegen seiner Pergamente wurde er von seinen putschenden Untertanen gevierteilt. Sie banden die Hände und Füße des unglücklichen Kosmopoliten an vier wilden Pferden fest und peitschten auf diese ein, bis sie auseinanderstoben.
    Schuras Komplizen behaupten, die letzte Residenz des skythischen Prinzen entdeckt zu haben, wo sie unter anderem einen silbernen Siegelring mit der Inschrift Skylos gefunden hätten.
    Als Schura weg ist, sehen wir vom Fenster aus, wie er die Tramgleise überquert und in der Menge am Alex verschwindet.
    Ich kann es nicht mehr hören, so ein Hochstapler! Ein Idiot, echt!
    Vielleicht klappt es mit den Schätzen? Stell dir vor, er wird reich und bedeutend, ihr kommt wieder zusammen, und du wirst die angesehene Frau eines Oligarchen! Mal ernst, würdest du zu ihm zurückgehen?
    Wir haben uns nicht wegen des Geldes getrennt.
    Ich meinte auch nicht, dass du ihn wegen dem Geld wieder heiratest, sondern aus Respekt und Anerkennung. Erfolg macht Menschen sehr, sehr sexy.
    Marina, was redest du für Blödsinn! Wir gehören einfach nicht zusammen, sage ich und stelle mir für einen Moment diesen schönen, einst geliebten Körper vor: ein kräftiger Brustkorb über den schlanken Lenden eines Raubtiers, krauses dunkles Brusthaar. Diese autistische Gier und die geschlossenen Augen …
    Nein, wir werden nie wieder zusammen leben, sage ich. – Und außerdem liebe ich einen anderen Mann.
    Es ist aber nicht der von der Torstraße?
    Exakt, sage ich, und schaue mich im Spiegel an.
    Er sitzt doch im Rollstuhl!
    Na und? Er hat schöne Augen.
    Vater hat auch schöne Augen, das reicht dir aber nicht! Sag bloß nicht, dass du ihn nie geliebt hast!
    Ich habe ihn sehr geliebt, aber es ist eine Ewigkeit her, sage ich und räume die leeren Tassen vom Tisch.
    Aufstehen!, schrie der Mann im Matrosenhemd, der dem Fahrer gegen die Schläfe zielte. – Aufstehen, meine Damen

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