Berlin liegt im Osten (German Edition)
Menschen mit Sektgläsern.
Durch die Glasscheibe kann man ins Foyer blicken: die weißen Wände sind leer bis auf ein Wappen mit leuchtendem Slogan:
What the fuck is Heimat?
Es ist das Haus, das einst Ulf Seitz betreten hatte, damals noch ein Junge, um seinen Vater zu denunzieren. Ich laufe immer schneller, ich will ihn sehen, und plötzlich habe ich es damit sehr eilig.
Nicht nur der
Soho Club
, sondern alle Häuser hier sind wie von seinen Erinnerungen imprägniert: Hier, zweihundert Meter weiter, aß er aus den Fleischtöpfen der Sieger. Hier ging er (nein, hoffentlich geht er immer noch!) einkaufen. Hier, vor dem Trödlerladen, stand ich vor einem Jahr. Damals leuchteten hinter meinem Rücken seine Fenster. Jetzt sind sie dunkel.
Ich gehe zur Haustür, drücke den Knopf neben seinem Namen und bekomme keine Antwort. Aus seinem Briefkasten quillt alte Post heraus. Jetzt bin ich mir sicher, dass ihm etwas Übles passiert ist und dass auch meine Lieblosigkeit dabei mitgespielt hat.
Zu Hause finde ich Heidis Nummer in meinem alten Notizbuch, sie meldet sich prompt und fragt, woher mein plötzliches Interesse am Leben von Herrn Seitz kommt. Als ich ihre Stimme höre, stelle ich mir kleine Wutfunken in ihren braunen, fast wimpernlosen Augen vor, sehe ihr kurzes, dunkel gefärbtes Haar – mithilfe schleimigen Gels gehärtet, igelt es sich zu scharfen, spitzen Strähnen. Heidi ist kräftig und kompakt, ein Stößel. Ich mag sie nicht, mich aber mag ich jetzt noch weniger, daher höre ich ihr schweigend zu. Sie redet eilig, wie gehetzt. Diese ganze Zeit habe er auf mich gewartet, gekränkelt. Er wollte nicht ins Heim übersiedeln, saß bloß da wie ein verlassener Hund.
Er hatte einen Tumor in der Lunge und wollte sich nicht operieren lassen. Und jetzt, wo all diese Qual vorbei ist, komme ich vom Himmel herabgeschwebt:
Was ist mit ihm jetzt?
, karikiert sie meine Frage mit dünn verzerrter Stimme und legt auf.
Wenn er tot wäre, hätte sie es nicht versäumt, dich ordentlich plattzudrücken! Diese Hexe! Er lebt, und morgen erfährst du alles Weitere über ihn, beruhigt mich Marina und läuft zum Telefon, das in diesem Moment wieder klingelt.
Papa ist in der Nähe, kommt vorbei, möchte etwas sehr Wichtiges besprechen. Ich mache schnell Bratkartoffeln für ihn!, sagt Marina und eilt in die Küche. – Schade, dass wir keinen Speck haben.
Deinetwegen. Du bist ja bei uns die Vegetarierin!
Aber er mag es mit Speck. Vielleicht soll ich schnell rüberlaufen zum Supermarkt? Wenn du Kartoffeln schälst –
Unwillig nehme ich das Messer aus ihrer Hand. Als die Kartoffeln geschält und geschnitten sind, erscheinen Marina und Schura zusammen an der Türschwelle.
Marina eilt zum Ofen, Schura setzt sich an den Tisch, ich auch.
Na, pack aus, sage ich, als Schuras Teller leer ist.
Wir müssen ihm seinen Ring zurückgeben, greift Marina ungebeten den Faden auf.
Was für einen Ring?
Den vom skythischen Prinzen. Papa muss ihn zurückgeben, sonst ist er in Gefahr!
Ist das nicht die Kaution für die Zweitausend, die er uns schuldet?, sage ich zu Marina und schaue dabei Schura an.
Ihr kriegt das Geld wieder. – Schura rülpst und schaut auf sein
iPhone
neben dem leeren Teller. – Ich arbeite jetzt an einem Projekt, das mir, dir, uns allen viel Geld bescheren wird. Und diesmal wird es sicher klappen.
Die neue Sage vom weltberühmten Herrn der Ringe! – Ich schiebe meinen Teller laut von mir weg.
Gib ihm den Ring, bitte! Er braucht ihn. Und bei uns liegt er einfach so rum, sagt Marina zu mir und dreht sich zu Schura: Wenn du nicht satt bist, kann ich dir ein paar Spiegeleier machen.
Spiegeleier! Warum fragst du
mich
nicht, ob ich Hunger habe? – Vor Wut wird meine Stimme heiser.
Weil du deine Kartoffeln kaum angerührt hast, sagt Marina zu mir und nickt dabei ihrem Vater komplizenhaft zu.
Für das Haus deiner Mutter kriegst du sicher ein paar tausend Dollar. Wenn du nur die Hälfte in mein Projekt investierst, baden wir bald in Schokolade, schießt Schura endlich los.
Bist du verrückt?
Fünfzehn Jahre lang habe ich dich versorgt! – Schura steht auf und fuchtelt mir mit seinem Zeigefinger vor dem Gesicht herum. – Und jetzt, wo ich deine Hilfe brauche, bin ich plötzlich bescheuert!
Ich kann Papa meinen Teil des Erbes abtreten, sagt Marina und hustet beklommen.
Deinen Teil? Das Haus gehört noch nicht einmal
mir!
Ich habe kein Geld, um nach Russland zu fliegen, um alles mit dem Haus zu regeln, und du verlangst
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