Berlin Wolfsburg (German Edition)
Danke.«
Johanna trank ihren Kaffee aus und nahm sich noch zwei Kekse, bevor
sie Reinders von ihrer Gegenwart befreite. Auf dem Parkplatz blickte sie
unschlüssig die Heßlinger Straße in Richtung Innenstadt hinunter. Sie würde
nicht umhinkommen, ihrer Mutter einen Anstandsbesuch abzustatten. Nicht dass
Gertrud Krass großen Wert darauf legte – zumindest brachte sie Derartiges nie
zum Ausdruck –, doch wenn Johanna sich drückte, hatte sie prompt ein schlechtes
Gewissen. Das war albern, aber nicht wegzudiskutieren, genauso wenig wie die
Tatsache, dass ihre Mutter, so lange Johanna zurückdenken konnte, eine
verbitterte und zynische Frau gewesen war, die den Sonnenseiten ihres Lebens
nie eine Chance gegeben hatte.
Großmutter Käthe lebte nach wie vor im Seniorenheim, wo sich Phasen
des Dahindämmerns mit bemerkenswert hellen Momenten abwechselten. So hatte man
Johanna bei ihrem letzten Anruf jedenfalls berichtet. Manche Dinge änderten
sich nie. Wenn sie eines Tages geht, und sei es mit hundert, werde ich am Boden
zerstört sein, durchfuhr es Johanna. Weil Oma Käthe immer eine sichere Bank
gewesen war. Wenn sie stirbt, ist alles anders. Was für seltsame Gedanken. Das
passierte ihr in Wolfsburg häufiger.
Ihre Mutter ging nicht ans Telefon. Johanna war erleichtert und fuhr
nach Alt-Wolfsburg, wo sie ein Zimmer im »Alten Wolf« gebucht hatte. Sie würde
auch in Peine und Braunschweig zu tun haben, aber sie schätzte Wolfsburg mit
zwei Fällen am aufwendigsten ein und würde hier ihr Lager aufschlagen. Zum
Leidwesen von Reinders.
Luca Mareni sah genauso südländisch aus, wie sein Name klang:
schwarze Locken, braune Augen, strahlend weiße Zähne. Er dürfte kaum eins
siebzig groß sein, wirkte aber durchtrainiert und sehr schlank. Der Mann ist
noch verdammt jung, dachte Johanna. Sie schätzte ihn auf höchstens dreißig.
»Zweiunddreißig«, korrigierte Mareni später mit einem charmanten
Lächeln.
Johanna hatte den Kommissar nach einer kurzen Verschnaufpause im
Liegestuhl auf dem Balkon angerufen und um ein Treffen gebeten. Er hatte nicht
lange gezögert und Johanna den Vorschlag gemacht, in der Autostadt, wo er
ohnehin gerade unterwegs war, gemeinsam eine Kleinigkeit essen zu gehen und
dabei über die Fälle zu reden.
Die Kommissarin war kein Fan dieser Location, und als Treffpunkt für
eine polizeiliche Besprechung stellte sie nicht gerade ihre erste Wahl dar.
Aber erstens hatte Johanna Hunger, zweitens konnte sie vom Hotel aus zu Fuß
durch den Schlosspark zur Autostadt hinübergehen, und drittens musste sie
zugeben, dass das Ambiente immer wieder sehr beeindruckend war und die
Wolfsburger keine Mühe scheuten, Gäste mit attraktiven Angeboten und besonderen
Veranstaltungen zu locken. Mareni schwärmte südländisch engagiert über die
Wasser- und Lichtshow dieses Sommers, während sie auf das Restaurant mit dem klangvollen
Namen »TachoMeter« zusteuerten.
»Sie müssen die Original VW -Currywurst
probieren!«, beschwor er Johanna eindringlich. Er benutzte Hände und Füße, um
ihr klarzumachen, was sie verpassen würde, wenn sie seinen Vorschlag
unberücksichtigt ließ. »Sie werden nie wieder eine andere essen wollen!«
Ein Wolfsburger mit italienischen Wurzeln, der für Currywurst
schwärmte – das war ja mal was Neues. Johanna grinste. Er grinste zurück.
»Scusi, ich esse nicht nur Pizza und Spaghetti, auch wenn meine Großmutter
beides perfekt zubereitet.«
»Das konnte ich Ihren Ausführungen entnehmen. Ich bin übrigens
gebürtige Wolfsburgerin, Kommissar Mareni«, erklärte sie dann amüsiert, »und
habe während meiner Zeit in der VW -Stadt mehr
Werks-Würste verdrückt, als ich zählen kann. Aber der Vorschlag gefällt mir
trotzdem. Lassen Sie uns bestellen.«
Er war sichtlich beeindruckt. »Ach, ich wusste gar nicht, dass Sie
aus der Gegend sind … Reinders hätte mich ja mal informieren können«, meinte
er, nachdem die Kellnerin ihre Bestellung aufgenommen hatte.
Johanna hob eine Augenbraue. »Apropos Reinders. Er sprüht nicht
gerade vor Begeisterung, dass ich seiner Ansicht nach völlig unnötig
abgeschlossene Fälle hinterfrage, aber das tut er, ehrlich gesagt, ohnehin
selten. Und glauben Sie mir – es ist nötig.«
»Kann ich mir denken.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun, sonst wären Sie kaum hier.«
»Richtig.«
»Und ich persönlich halte es nicht für die schlechteste Idee, eine
zweite Meinung einzuholen«, schob Mareni ein wenig zögernd, aber
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