Berlin Wolfsburg (German Edition)
meldete sich dann die Polizei.«
Johanna zog ihr Notizheft hervor. »Wo war Ihr Mann einkaufen?«
»Er ist meist vom Dienst kommend gleich bei dem großen Edeka am
Berliner Ring gewesen.«
»War er allein?«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Hatten Sie den Eindruck, dass er mit jemandem unterwegs war, als
Sie miteinander telefonierten?«
Silvia Ansdorf überlegte einen Moment angestrengt. »Nein. Er saß
allein im Wagen und telefonierte über Headset. Ich bin jedenfalls ziemlich
sicher …«
»Wissen Sie noch, was er besorgt hat?«
Die Witwe warf ihr einen verblüfften Blick zu. »Ist die Frage ernst
gemeint? Mein Mann hat irgendeine neue fürchterliche Droge genommen, von der
ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte und die ihn in den Selbstmord trieb –
im Supermarkt wird er sie kaum besorgt haben, auch wenn die Bezeichnung
Badesalz so etwas vermuten lässt.« Das klang sarkastisch, und es half, die
bodenlose Verzweiflung zu überdecken.
»Wir haben in Berlin einen ähnlichen Fall mit der Badesalz-Droge,
und mich interessieren sämtliche Details«, entgegnete Johanna unbeirrt. »Der
Berliner Kollege hat sich noch eine Pizza bestellt. Eine derartige Droge hätte
ihm, genau wie Ihrem Mann, niemand zugetraut, und auch bei ihm fanden sich
keinerlei Hinweise auf früheren Drogenkonsum oder Kontakte zu entsprechenden
Leuten. Hier muss natürlich kein Zusammenhang bestehen …« Johanna hob kurz die
Hände. »Der Mensch an sich ist ein merkwürdiges Wesen, und Polizisten verstehen
es natürlich sehr gut, ihre Spuren zu verwischen, aber –«
»Günther hat einen ganz normalen Wochenendeinkauf erledigt – und
alles weggeräumt, bis auf die Kekse.«
»Kekse?«
»Ja, er hat davon gegessen. Günther hat gerne genascht. Die
angebrochene Packung lag auf dem Wohnzimmertisch.«
»Hat man sie auf Spuren untersucht?«
»Soweit ich weiß, ja, aber herausgekommen ist dabei nichts.« Silvia
Ansdorf runzelte die Stirn. »Glauben Sie etwa …«
Johanna schüttelte rasch den Kopf. »Ich suche nach Ansatzpunkten und
nach einer Erklärung für ein Muster, das ich nicht verstehe«, erörterte sie
behutsam. Es war nicht der richtige Moment, um die Witwe mit ihren
weitreichenden Befürchtungen zu konfrontieren. Vielleicht würde es diesen
Moment nie geben. Wenn Johanna sich recht erinnerte, hatte Bernd Lange auch
Kekse gegessen. Das musste gar nichts bedeuten, aber sie registrierte den
Aspekt.
»Vielleicht gibt es nichts zu verstehen«, meinte Ansdorf lapidar.
»Vielleicht ist es so, wie der Kommissar sagte: Manche Dinge passieren einfach,
aus dem Nichts heraus. Vielleicht habe ich Günther viel weniger gut gekannt,
als ich annahm – das geht vielen Paaren nach jahrzehntelanger Ehe so –, und er
hat sich doch was aufschwatzen lassen, ohne die Wirkung einschätzen zu können.«
»Ja, mag sein, aber wenn sich mir im Laufe von Ermittlungen zu viele
Vielleichts in den Weg stellen und Mister Zufall ein ums andere Mal als
Erklärer bemüht werden muss, werde ich stutzig. Und kaum etwas passiert aus dem
Nichts heraus – meine Erfahrung und meine Meinung.«
Dazu mochte Silvia Ansdorf nichts mehr sagen. Langsam, Schluck für
Schluck trank sie ihren Kaffee und starrte Löcher in die Luft. Johanna hörte
plötzlich das eindringliche Ticken der Küchenuhr und sah hinüber zum Fenster.
Eine grün-schwarze Fliege erklomm die Scheibe. Die Kommissarin räusperte sich,
legte ihre Visitenkarte auf den Tisch und verabschiedete sich. Ihr war elend.
Im Auto setzte sie ihr Headset auf und schlug den Weg in Richtung
Autobahn ein. Obwohl sie alle Register ihrer Überredungskünste zog, war von den
Angehörigen des toten Polizisten Karsten Vogt aus Peine niemand zu einem
Treffen mit der Kommissarin bereit. Die Witwe legte sofort wieder auf, ein
Bruder ließ sich nicht mehr als zwei Sätze entlocken. Johanna drosselte das
Tempo und entschied sich, nach Wolfsburg zurückzufahren, während sie – ohne
große Hoffnung auf erhöhte Gesprächsbereitschaft – Vogts achtzehnjährige
Tochter Lilly zu erreichen versuchte, in deren Wohnung der Beamte mit
Renovierungsarbeiten beschäftigt gewesen war, bevor er aus dem Fenster sprang.
Auch Lilly lehnte ein Treffen ab, und es imponierte ihr auch nicht sonderlich,
dass Johanna vom BKA war.
»Ich habe weder Zeit noch Kraft noch die Ruhe«, sagte sie schlicht.
»Mein Vater ist erst zehn Tage tot, und ich habe alles zu Protokoll gegeben,
was mir im Zusammenhang mit seinem Tod eingefallen ist.«
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