Berlin Wolfsburg (German Edition)
wieder
zur Tagesordnung überzugehen.«
»Ich werde nie wieder einfach zur Tagesordnung übergehen, aber egal,
was Sie herausfinden: Günther bringt es mir nicht zurück.«
»Stimmt. Aber vielleicht können wir weitere Todesfälle verhindern.«
Ansdorf schwieg eine volle Minute – so schien es Johanna zumindest –, bis sie schließlich eine Handbewegung machte, die wenigstens entfernt
Ähnlichkeit mit einer einladenden Geste hatte. »Na schön, kommen Sie, aber bei
mir sieht es aus wie Sau.«
»Ist mir völlig egal – Hauptsache, ich krieg einen Kaffee bei
Ihnen.«
»Den müssen Sie selber kochen.«
»Tu ich gern.«
***
Der Mann war bildschön. Eine Mischung aus Brad Pitt und Ricky
Martin. Und Charme hatte er für drei. Außerdem war er voller Verständnis für
ihre Situation. Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, nickte abwesend, gab
beiläufige Antworten, während sie ihn betrachtete und seiner tiefen Stimme
lauschte. Ja, sie erinnere sich, dass er schon einige Male angerufen habe,
nein, sie habe noch nicht daran gedacht, nach den Videos und PC -Spielen zu suchen, die ihr verstorbener Mann sich
ausgeliehen habe und deren Leihfrist bereits vor Monaten abgelaufen sei.
Es war ihr neu, dass Jörg regelmäßig Videos ausgeliehen hatte, einen
ganzen Stapel, wie der junge Mann betonte, der sich als Stefan Muth vorgestellt
hatte. Aber Jörg war immer für eine Überraschung gut gewesen – in der Regel
unangenehme –, sogar jetzt noch, mehr als drei Monate nach seinem Tod. Auch
wenn es schwer vorstellbar schien: Konnte sie tatsächlich ausschließen, dass er
sich zum Beispiel reihenweise Pornos reingezogen und sich ansonsten die Zeit in
seinem Zimmer mit Ballerspielen vertrieben hatte?
»Ich bin einfach noch nicht dazu gekommen«, erklärte Marie Rauth mit
leiser Stimme.
»Das kann ich gut verstehen. Sie durchleben gerade eine schwere Zeit
und haben andere Sorgen.«
Wie selbstverständlich er das sagte. Sie bat ihn nach kurzem Zögern
herein und ging voran in die Küche. »Mögen Sie etwas trinken? Einen Kaffee? Ein
Wasser?«
Stefan Muth schüttelte den Kopf. »Vielen Dank. Ich hoffe, ich halte
Sie nicht auf.«
»Nein, ganz und gar nicht.«
Er lächelte, und sie spürte, dass sie verlegen war. Und sich geschmeichelt
fühlte. Sein Blick war sehr direkt, und das gefiel ihr. Das schlechte Gewissen,
das sich einstellen wollte, schob sie kurzerhand beiseite. Jörgs Tod war
tragisch gewesen, und sie würde sich für den Rest ihres Lebens immer wieder mit
der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie für seinen Suizid verantwortlich
war, weil sie die Trennung gewollt hatte. Aber ihre Ehe war seit Jahren eine
Farce gewesen – er hatte gelogen, sie hintergangen und schließlich mit einem
Haufen Schulden und der Gewissheit zurückgelassen, seit vielen Jahren neben
einem Mann gelebt zu haben, der ihr irgendwann entglitten war, ohne dass sie
den tieferen Grund dafür kannte. Warum sollte sie sich nicht im Lächeln dieses
attraktiven Mannes sonnen?
»Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen«, schlug Stefan Muth vor und
zog einen Zettel aus der Gesäßtasche seiner Jeans. »Ich habe die Auflistung der
Titel dabei, die Jörg Anfang Mai mitgenommen hat.«
Marie nahm das Blatt entgegen und studierte die Aufstellung: fünf
Filme und zwei Spiele. Die Titel sagten ihr nichts – Actionfilme, wie Muth
versicherte, aber er zwinkerte dabei. Das konnte alles Mögliche bedeuten.
»Wissen Sie, ich habe gar nicht mitbekommen, dass Jörg sich Filme
ausgeliehen oder am PC gespielt hat«, meinte sie
schließlich. »Und unter seinen persönlichen Sachen in seinem Zimmer habe ich
nichts gefunden.« Außer Chaos, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Na ja – das waren keine Filme, die man offen herumliegen lässt«,
bemerkte Muth und gab seinem Lächeln eine süffisante Note. »Schon gar nicht als
Polizeibeamter.«
»Ach?«
Er zog eine Braue hoch. »Würden Sie mir einen Blick in sein Zimmer
gestatten?«
Der Gedanke gefiel ihr nicht. So charmant
Ricky-Martin-Brad-Pitt-Stefan-Muth auch war, er blieb ein Fremder, und sein
Ansinnen schien ihr unpassend. Andererseits hatte der Mann sehr viel Geduld und
Verständnis bewiesen. Er hätte auch einfach eine saftige Rechnung schreiben
können.
»Wir könnten zusammen einen Blick werfen«, meinte sie schließlich
zögernd.
Muth behielt sein Lächeln. »Das wäre klasse. Vielleicht habe ich
eine Idee, wo er das Ganze gehortet haben könnte. Wissen Sie, die Dinger kosten
eine ganze Stange
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