Berlin Wolfsburg (German Edition)
zugeflüstert. »Bitte guck dich in seinem Zimmer
um, bevor die Polizei kommt. Du weißt, worauf du achten musst. Ich ertrage
keine weiteren Überraschungen.«
Scheidner hatte nicht eine Sekunde gezögert und war nach oben
geeilt. Die Polizei hatte sie erst angerufen, als Robert nach ungefähr fünfzehn
Minuten wieder nach unten gekommen war. Kopfschüttelnd. Zusammengebrochen war
sie erst viel später – nachdem die Spurensicherung im Haus abgeschlossen
gewesen war, sie ein erstes Gespräch mit einer Kommissarin überstanden und
Robert die Kinder mit zu sich nach Hause genommen hatte.
Marie schrak aus ihren Gedanken hoch, als sie Schritte auf der
Treppe hörte, und lauschte atemlos in die Stille, als sie verklangen. Der Mann
war direkt vor der Küchentür stehen geblieben. Sekunden später vernahm sie
erneut Schritte, dann fiel die Haustür ins Schloss. Marie sah auf ihre
zitternden Hände. Sie würde nie erfahren, ob und was Stefan Muth entdeckt
hatte. Und sie wollte es auch gar nicht. Sie verwarf den Gedanken, Robert zu
informieren, im gleichen Augenblick, in dem er ihr durch den Kopf schoss. Er
hatte genug für sie getan.
4
Die Küche machte einen aufgeräumteren Eindruck, als Johanna
erwartet hatte. Es roch zwar nach abgestandener Luft, schmutziges Geschirr
stand in der Spüle, Obst vergammelte in einer Schüssel auf dem Esstisch, und
der Fußboden war schon lange nicht mehr gründlich gewischt worden, aber Johanna
hatte schon in vielen Küchen gesessen, die grundsätzlich so aussahen. Silvia
Ansdorf ließ sich in einen Stuhl fallen, der unter ihrem Gewicht ächzte. »In
dem Schrank über der Spüle finden Sie Kaffee und Filtertüten.«
Johanna setzte die Kaffeemaschine in Gang, die auf der Arbeitsplatte
zwischen Gläsern und Tassen, leeren Wein- und Schnapsflaschen ihren Platz
behauptet hatte, und wusch zwei Kaffeebecher mit Smiley-Motiven ab, während
Silvia Ansdorf sich eine Zigarette anzündete.
»Ich war vom Job gleich zu meinem Frauenabend aufgebrochen«, begann
sie ohne Aufforderung mit müder Stimme zu erzählen und nahm einen gierigen Zug
aus der Zigarette. »Ich bin Verkäuferin in einem Spielwarengeschäft und arbeite
in Fallersleben. Unser Frauenabend – meist vier, fünf, sechs Freundinnen –
findet einmal im Monat statt, seit über fünfundzwanzig Jahren, wir nennen ihn
Püppiabend. Ich lass ihn mir nie entgehen, so wie Günther immer zum Fußball
ging und keinen Kegelabend verpasste …« Sie streifte die Asche ab und sah kurz
hoch, als die Kaffeemaschine zu schnaufen anfing. »Muss mal wieder entkalkt
werden …«
Johanna nickte und setzte sich zu ihr.
»Es war nichts Besonderes an dem Tag – alles wie immer: Günther
hatte einigermaßen pünktlich Feierabend machen können und war noch einkaufen
gegangen. Er rief mich von unterwegs an, um zu fragen, ob ich noch was bräuchte
oder mir noch was fürs Wochenende einfiele … Wissen Sie, er war nicht gerade
ein perfekter Hausmann, aber wenn es ums Einkaufen ging oder den ganzen
Technik- und Autokram, konnte ich mich immer auf ihn verlassen. Wir haben eine
recht altmodische Ehe geführt, aber sie war nicht schlecht.« Sie schüttelte den
Kopf. »Sie war gut. Wir hatten ein gutes Leben, und wir ließen es uns gut
gehen. Selbst als ich fett wurde, hat Günther nichts auf mich kommen lassen …
Na ja, das nur so nebenbei.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Johanna stand auf und goss den
Kaffee ein. »Brauchen Sie Milch, Zucker?«
Silvia Ansdorf nickte. »Kaffeesahne – steht im Kühlschrank. Zucker
hab ich hier.«
Der Kühlschrank war mäßig gefüllt. Im Gemüsefach lagerten
verschrumpelte Karotten. Ein würziger Käse verströmte sein aufdringliches
Aroma. »Kümmert sich jemand um Sie?«, fragte Johanna und reichte Ansdorf die
Sahne.
»Meine Kinder wechseln sich ab. Der Sohn studiert in Hamburg und
kommt, so oft er kann. Die Tochter und ihr Mann haben gerade in Gifhorn gebaut,
und sie ist schwanger … Na ja, es bleibt wenig Zeit, aber sie ruft fast jeden
Tag an.«
»Und Ihre Freundinnen?«
Silvia Ansdorf lächelte leise. »Sie geben sich Mühe. Aber der Tod
bringt manches zum Schweigen. Noch dazu so ein Tod.« Sie zog den Gürtel ihres
Bademantels enger und trank einen Schluck Kaffee. »Der ist gut. Danke.«
Johanna erwiderte das Lächeln. »Ihr Mann war also einkaufen. Und Sie
hörten zum letzten Mal von ihm, als er Sie anrief?«
»So ist es. Am Abend, es war schon nach zehn, und ich wollte gerade
nach Hause aufbrechen,
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