Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin Wolfsburg (German Edition)

Berlin Wolfsburg (German Edition)

Titel: Berlin Wolfsburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
Vom Netzwerk:
eine Achtzehnjährige wählte sie ihre Worte ausgesprochen
überlegt. Sie klingt reif, fast gesetzt, dachte Johanna verblüfft. »Manchmal
fallen einem erst hinterher Details ein, die sich als bedeutsam erweisen«,
wandte sie ein und fuhr langsam weiter, um sich besser auf das Telefonat
konzentrieren zu können.
    »Wenn das passiert, werde ich mich an die Polizei wenden.«
    »Ich verstehe, dass Sie Abstand gewinnen möchten –«
    »Ich möchte keinen Abstand gewinnen«, fiel Lilly Vogt ihr ins Wort.
»Ich möchte mich ungestört von ihm verabschieden. Das leere Gequatsche über
seinen Tod verhindert das.«
    »Frau Vogt, man sagt mir alles Mögliche nach, darauf können Sie sich
verlassen, aber leeres Gequatsche gehört garantiert nicht dazu«, entgegnete
Johanna in scharfem Tonfall. »Ihr Vater ist nicht der einzige tote Polizist,
der uns zu denken gibt, und ich bin in Wolfsburg, um nach Hinweisen in mehreren
Fällen zu suchen. Bei den bisherigen Ermittlungen hat die Polizei keine Spuren
gefunden, die der Suizid-Annahme faktisch widersprechen und ein Verbrechen
nahelegen, aber das BKA will ganz sichergehen und
wagt einen zweiten Anlauf … Der kann aber nur etwas bringen, wenn auch die
Angehörigen eine gewisse Kooperationsbereitschaft an den Tag legen. Geben Sie
mir bitte zumindest fünf Minuten am Telefon, um einige Fragen zu klären – nicht
mehr, aber auch nicht weniger.«
    Lilly Vogt brauchte offensichtlich einige Sekunden, um nach dieser
klaren Ansage eine Entscheidung zu treffen. »Na schön«, meinte sie schließlich.
»Fünf Minuten.«
    Wie gütig von dir, dachte Johanna, schluckte die bissige Bemerkung
aber herunter. »Was genau hat Ihr Vater am Tag des Unglücks gemacht?«
    »Er hatte frei und ist morgens in meine Wohnung gefahren, um Wände
zu streichen und Türen zu schleifen und tausend andere Dinge zu erledigen, wie
in den Tagen zuvor auch schon. Ich hatte Dienst und überhaupt keine Zeit – ich
bin Krankenpflegeschülerin. Er hat den ganzen Tag allein vor sich hin
gewerkelt. Abends ist er aus dem Fenster gesprungen.«
    Das ist doch absurd, dachte Johanna.
    »Das hört sich verrückt an, oder?«, fragte Lilly, und ihre Stimme
war auf einmal lebhafter, angespannter. Verzweifelt. »Ich wache jeden Morgen
auf und denke, dass alles nur ein Alptraum war, und meine Mutter ist völlig am
Ende …«
    »Sie haben noch nicht in der Wohnung gewohnt?«, fragte Johanna nach
kurzer Pause.
    »Nein. Ich habe noch bei meinen Eltern gelebt. Die Wohnung sollte
meine erste eigene werden … Ich hab sie wieder gekündigt.«
    Hätte ich auch, dachte Johanna. »Haben Sie an jenem Tag
zwischendurch noch mal Kontakt mit Ihrem Vater gehabt? Hat er mal angerufen?«
    »Ja«, bestätigte Lilly erstaunt. »Er wollte wissen, ob er das Bad
nicht doch neu fliesen sollte. Er hätte im Baumarkt ein tolles Angebot gesehen.
Ich hab mich ein bisschen geziert – wissen Sie, mein Vater ist immer sehr
großzügig gewesen: Führerschein, Auto, Urlaub, alles Mögliche hat er mir gerade
in letzter Zeit gesponsert, und für meine Wohnung hatte er auch schon eine
ganze Stange Geld ausgegeben. Aber er ließ sich nicht beirren, meinte lachend,
er hätte eine Sonderzulage bekommen und könnte es sich problemlos leisten,
seine einzige Tochter zu verwöhnen. Dann ist er noch mal losgefahren, um die
Fliesen zu besorgen. Er klang so fröhlich …«
    »In welchem Baumarkt hat er eingekauft?«
    »Um Gottes willen, warum ist das denn wichtig?«
    »Ich weiß nicht, ob es wichtig ist. Ich sammle Details. Manchmal
höre ich sie mir nur an und vergesse sie gleich wieder, manchmal werden sie zu
einem späteren Zeitpunkt wichtig.«
    Lilly nannte ihr einen Baufachmarkt in Peine, wenige Fahrminuten von
der Wohnung in der Luisenstraße entfernt.
    »Noch eine letzte Frage – hatte Ihr Vater Höhenangst?« Johanna
hörte, dass Lilly kurz die Luft anhielt.
    »Soweit ich weiß – nein«, antwortete sie dann jedoch prompt. »Er hat
jedenfalls nie davon gesprochen, und aufgefallen ist mir so was auch nicht.«
    »Okay. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Frau Vogt.«
    »Ja … schon gut. Wenn Sie etwas herauskriegen …«
    »Erfahren Sie davon, natürlich.«
    Es war später Mittag, als Johanna in den »Alten Wolf«
zurückkehrte. Ihr Schädel brummte, und ihr Magen knurrte. Sie notierte sich
etliche Stichpunkte, während sie auf das Essen wartete: hausgemachte Nudeln in
Basilikumsahnesauce mit gebratenen Lachstranchen, dazu Wasser und eine Kanne
Kaffee.

Weitere Kostenlose Bücher