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Berlin Wolfsburg (German Edition)

Berlin Wolfsburg (German Edition)

Titel: Berlin Wolfsburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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des Islamischen Kulturzentrums, wo sie anschließend noch im Café
zusammensaßen und Karim so tat, als wäre alles wie immer. Nichts war wie immer
und würde es nie wieder sein.
    Er war kein ängstlicher Typ, kein Mann, der sich schnell
einschüchtern ließ. Aber in jener Nacht hatte er Todesangst ausgestanden. Eine
nie gekannte und mit nichts zu vergleichende Furcht, die in seine Seele
eingebrochen war und aus einem selbstbewussten, erfolgreichen und fröhlichen
jungen Mann eine winselnde Kreatur gemacht hatte, die vor ihrem eigenen
Schatten erschrak. Falls das ihr Ziel gewesen war, hatten sie es mit Bravour
erreicht. Nichts manipulierte stärker und nachhaltiger als Angst.
    Es war spät gewesen, als er die Diskothek verlassen hatte –
verschwitzt, müde und guter Dinge, nichts Böses, eigentlich gar nichts ahnend –
und sich zu Fuß auf den Heimweg gemacht hatte. Bis zum Mühlenpfad am
Schillerteich hatte er es nicht weit. An der Friedrich-Ebert-Straße trat
plötzlich ein Mann aus dem Schatten eines Hauseinganges, und Karim zuckte
zusammen.
    »Hast du Feuer?«
    Karim schüttelte erleichtert den Kopf und lächelte. »Nein, tut mir
leid. Ich rauche nicht.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein.« Karim lächelte erneut.
    Der Mann lächelte zurück und nickte. »Auch gut.« Er war ungefähr in
seinem Alter, Mitte zwanzig, groß gewachsen, breitschultrig, helles kurzes
Haar, Lederjacke, Jeans. Er kam zwei Schritte näher, machte eine unbestimmte
Handbewegung, und zwei weitere Männer traten aus der Dunkelheit.
    Erst jetzt fiel Karim auf, dass keine Menschenseele außer ihm und
den drei Männern auf der Straße zu sehen war. Es war eine kühle Nacht, der
Frühling schien in weiter Ferne. Sein Herz verfiel in einen schnelleren Rhythmus.
Er wollte sich umdrehen, doch der Lederjackentyp packte mit hartem Griff seinen
Oberarm, und bevor Karim reagieren konnte, trat einer der beiden anderen hinter
ihn und drückte ihm einen Gegenstand in den Rücken, der sich wie ein Messer
oder eine Pistole anfühlte. Der dritte Mann ging zu einem Wagen am Straßenrand
und öffnete die Tür, wobei er leise pfiff. Eine Melodie, die Karim kannte.
Irgendein angesagter Gute-Laune-Hit aus dem letzten Sommer, nach dem es sich
wunderbar tanzen ließ. Er war verblüfft, was ihm durch den Kopf ging. Absurd
wie die ganze Situation.
    »Maul halten und einsteigen!«, zischte der Mann in seinem Rücken.
    »Aber …«
    Der Lederjacken-Mann wuchtete ihm den Ellenbogen in die Rippen.
Karim wurde speiübel vor Schmerz, und er schnappte mühsam nach Luft, während er
zum Bordstein stolperte.
    »Hast du nicht gehört: Maul halten und einsteigen!«
    Sie nahmen ihn auf der Rückbank in die Mitte, und einer verband ihm
die Augen. Als er wieder aus dem Wagen gestoßen wurde, hatte er keine Ahnung,
wie viel Zeit vergangen war und wo er sich befand. Kies knirschte unter seinen
Schuhen, und ein eiskalter Windzug streifte sein Gesicht. Ein Nachtvogel
schrie, dann knarzte eine Tür. Als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in
einem kahlen, fensterlosen und muffig riechenden Raum. In der Mitte stand ein
Holzstuhl. Den sollte er in den folgenden Stunden nicht mehr verlassen.
    Am nächsten Morgen fand ihn ein Spaziergänger bewusstlos am
Schillerteich. Karim konnte sich nicht erinnern, wie er dorthin gelangt war, es
war ihm auch egal, er entsann sich nur der Schmerzen und der Brutalität der
drei Schläger sowie des Hasses, der ihm entgegengeschlagen war, und er wusste
noch, wie eindringlich sein Wunsch gewesen war, endlich das Bewusstsein zu
verlieren.
    Zwei Tage später war er vernehmungsfähig und erfuhr, dass es bisher
keine Tatverdächtigen gab. Die Spuren, die die Polizei hatte sichern können,
brachten keinerlei Erkenntnisse, Zeugen gab es nicht, oder ihre Aussagen waren
zu ungenau. Mit Karims Beschreibung der drei Männer, des Tatherganges und des
Entführungsortes konnte die Polizei auch nicht viel anfangen.
    Der Beamte, der sich seines Falls als leitender Ermittler annahm,
ließ durchblicken, dass er als Hintergrund eine Fehde unter jungen Männern
vermutete, eine zerstrittene Familie, die ihre Konflikte auf die Art zu lösen
versuchte, die ihrem religiös-kulturellen Selbstverständnis entsprach. Karim stand
noch zu sehr unter Schock, um sofort zu realisieren, was er meinte. Als er
einige Stunden später begriff, dass Kommissar Ansdorf seinen Schilderungen nur
bedingt glaubte und davon ausging, Karim befände sich in einer Art türkischem
Clan-Krieg, griff er

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