Berlin Wolfsburg (German Edition)
nicht anmerken. »Ich kannte ihn zwar vom Sehen«,
erwiderte sie, »habe aber nie mit ihm zusammengearbeitet – er war Springer und
in allen möglichen Teams tätig: Einbruch, OK ,
Gewaltdelikte, Drogen. Rauth war erfahren und galt bis zur Tat als zuverlässig
und so souverän, wie man es sich von einem sechsundvierzigjährigen Beamten
wünscht. Er war verheiratet und Vater von zwei Kindern im Alter von sechzehn
und zwölf Jahren. Nach außen hin schien alles in nahezu bester Ordnung.«
»Ärger unter Kollegen?«
»Ist mir nicht zu Ohren gekommen. Das muss aber nicht unbedingt
etwas heißen – ich bin noch nicht so lange in Berlin.«
»Ja, ich weiß. Sie sind das Ruhrpott-Püppchen.«
Nowak lächelte. »So ist es.«
»Haben Sie im Laufe Ihrer Ermittlungen auch nur einen Augenblick
daran gezweifelt, dass Rauth sich selbst umgebracht hat?«, fuhr Johanna fort.
Nowak warf ihr einen verblüfften Blick zu. Bevor sie antworten
konnte, servierte der Kellner die dampfenden Suppenschalen und einen Korb mit
Brot. Die LKA -Beamtin griff sich eine Scheibe,
biss gedankenverloren ab und nahm den Löffel zur Hand.
»Nein, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sich dafür kein
einziger Anhaltspunkt fand und sehr schnell klar wurde, dass Rauth seinem
Umfeld die heile Welt nur vorgespielt hatte«, erwiderte sie dann. »Der Mann hat
abgewartet, bis seine Familie an jenem Abend ausgeflogen war, dann griff er zu
seiner Dienstwaffe, drückte sie an die Schläfe … und so weiter – ich erspare
uns an dieser Stelle die Einzelheiten der kriminaltechnischen Untersuchung. Es
gab zwar keinen Abschiedsbrief, zumindest fanden wir keinen, und bis dahin war
der Kollege auch nicht als depressiv und konfliktbeladen bekannt, aber nach
wenigen Gesprächen wurde klar, dass die Ehe längst den Bach hinuntergegangen
war und Rauth einen Haufen Schulden gemacht hatte, im knapp sechsstelligen
Bereich, um genau zu sein.« Nowak hob eine Braue.
»Er hatte bei Sportwetten einige Male kräftig danebengelegen und
mehrere Konten überzogen«, fuhr sie fort. »Das hatte niemand gewusst, und
seiner Frau war erst kurz zuvor das ganze Ausmaß bekannt geworden. Daraufhin
hat sie ihm klargemacht, dass es keine Zukunft mehr für ihre Ehe geben würde …«
Johanna probierte die Suppe – sie war genauso scharf wie brühend
heiß – und ließ Katryna Nowaks Erörterungen sacken. Das also waren die privaten
Probleme gewesen, von denen Samthof gesprochen und die in der Akte nicht im
Detail aufgeführt worden waren. Wahrscheinlich aus Rücksicht auf den Kollegen
beziehungsweise seine Hinterbliebenen, dachte sie.
»In Ihrem Bericht steht, dass Sie am Tatort neben der Ehefrau Maria
Rauth Staatsanwalt Robert Scheidner angetroffen haben«, setzte sie das Gespräch
fort und griff sich ebenfalls ein Stück Brot.
»Richtig, Scheidner und Rauth waren Freunde. Die Ehefrau hatte ihn
gebeten, zu kommen und sie zu unterstützen, nachdem sie uns verständigt hatte.«
»Verstehe.«
Nowak suchte Johannas Blick. »Kollegin, worum genau geht es
eigentlich? Hab ich Mist gebaut? Etwas Wichtiges übersehen? Warum –«
Johanna winkte ab. »Wie ich am Telefon schon erwähnte, gab es in den
letzten Monaten mehrere Suizide von Polizisten – nicht nur in Berlin, aber hier
ging es mit zwei Fällen los«, fiel sie ihr ins Wort. »Die Geschichten ähneln
sich in dem einen oder anderen Punkt, und das BKA will auf Nummer sicher gehen und die Einzelheiten noch mal genauer unter die
Lupe nehmen, das ist alles.«
Nowak hob diesmal beide Brauen, was nach Johannas Empfinden ziemlich
keck aussah. »Von den Todesfällen habe ich gehört. Wenn ich Ihnen nicht mehr
entlocken kann …«
»Im Moment nicht, nein.«
Katryna Nowak wirkte unzufrieden. »Na schön.« Sie nahm sich ein
zweites Stück Brot und biss herzhaft ab. »Viel mehr kann ich Ihnen zu Rauth
nicht sagen. Die KTU hat anhand der
Schmauchspuren und des Einschusswinkels eindeutig festgestellt, dass er selbst
abgedrückt hat – das haben Sie sicher längst nachgelesen. Es gab keine Spuren,
keine verdächtigen Telefonate, Mails oder sonstigen auffälligen Kontakte. Nicht
das Geringste wies auf Fremdeinwirken hin, und Sie können mir glauben, dass wir
sehr aufmerksam und mit scharfem Blick recherchiert haben. Rauth hat keine
Möglichkeit gesehen, seinem Leben noch einmal eine entscheidende Wendung zu
geben, seine Frau zurückzugewinnen, und er hat die Nerven verloren. Ende, aus.
So was passiert. Leider.«
Ende, aus. »Ja, ich
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