Berlin Wolfsburg (German Edition)
Wolfsburger
Polizeiinspektion würde sich bestimmt schon auf sie freuen. Vor ungefähr einem
Jahr hatten sie das letzte Mal im Zusammenhang mit der verschwundenen Kati
Lindner aus Königslutter und dem angeblichen Unfall des verdeckten Ermittlers
Lennart Wiebor sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Aber Reinders würde nie ein
Fan von ihr werden. So viel stand fest.
»Falls Sie Unterstützung aus unserem Hause brauchen, lassen Sie es
mich wissen.«
»Mach ich. Danke.«
Johanna benötigte keine fünf Minuten, um sich in der Cafeteria mit
frischem Kaffee und einer Packung ihrer Lieblingskekse zu versorgen und in ihr
Büro zurückzugehen. Eine Weile kaute sie auf der Frage herum, wie Udo Samthofs
Engagement einzustufen war. Ging er tatsächlich lediglich einem unguten Gefühl
nach? Das allein wäre bei einem leitenden BKA -Beamten
ungewöhnlich, aber letztlich kein Gegenargument. Hatte er versteckte Hinweise
erhalten, die er überprüfen musste? Waren vielleicht Fehler gemacht worden,
unter Umständen gravierende, die nun klammheimlich ausgeräumt werden sollten?
Oder wollte er Grimichs Abwesenheit nutzen und sich schlicht und ergreifend
profilieren?
Johanna biss in ihren Keks. Wie auch immer … Vielleicht erschloss
sich der Hintergrund, wenn sie in die Fälle eingestiegen war. Sie ordnete die
Akten in chronologischer Reihenfolge auf ihrem Schreibtisch. Jörg Rauth und
Bernd Lange waren die ersten. Beide Fälle waren von Kommissarin Katryna Nowak
bearbeitet worden. Johanna studierte ihre Berichte in aller Ruhe, griff dann
zum Telefon und ließ sich mit dem LKA verbinden.
Kommissarin Nowak hatte vorgeschlagen, die Einzelheiten nicht am
Telefon, sondern am späten Vormittag bei einem Imbiss am Mehringdamm in
Kreuzberg zu besprechen, was Johanna nur allzu recht war. Sie nutzte jede
Gelegenheit, ihr ödes Büro zu verlassen. Als sie das indische Lokal betrat,
winkte Nowak ihr von einem Tisch im hinteren Bereich zu und erhob sich
schwungvoll, um die ältere Kollegin zu begrüßen.
Katryna Nowak trug einen luftigen weinroten Hosenanzug und war
dezent geschminkt, das dunkle, perfekt geschnittene Haar schimmerte seidig. Die
Stimme passte zu der auffällig aparten Frau, neben der Johanna sich zumindest
in modischer Hinsicht wie ein lebendig gewordener Fauxpas vorkommen würde, käme
sie je auf die absurde Idee, sich mit ihr zu vergleichen. Die Kollegin würde
auch als Mitarbeiterin eines eleganten Damenoberbekleidungsgeschäfts durchgehen,
dachte Johanna, die im Vorfeld natürlich nachgeforscht hatte, mit wem sie es zu
tun bekam.
Beim LKA hatte man der modisch
aufgepeppten Katryna Nowak den Spitznamen »Püppchen« gegeben. Er passte
vortrefflich, sofern er sich auf Äußerlichkeiten bezog, fand Johanna. Nowak war
Mitte dreißig, stammte aus Duisburg und war vor ungefähr anderthalb Jahren
erstmals an die Berliner Kollegen ausgeliehen und zu Beginn alles andere als
herzlich aufgenommen worden. Seinerzeit hatte sie gemeinsam mit Piet Reinhardt
ausgesprochen beherzt die Hundekampfszene aufgemischt, was ihr kaum jemand
zugetraut hatte, und war in der Folge immer wieder zu Einsätzen in die
Hauptstadt gebeten worden, um schließlich vor einigen Monaten endgültig an die
Spree zu wechseln. Kurzum: Nowak hatte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten
viel Respekt erworben und war zur Hauptkommissarin aufgestiegen. Wenn Johanna
es richtig verstanden hatte, kam beim LKA längst
niemand mehr auf die Idee, ihren Spitznamen in abfälligem Ton zu verwenden.
»Danke, dass Sie gleich Zeit für ein Gespräch gefunden haben«,
bemerkte Johanna nach kurzer Begrüßung, während sie sich setzten.
»Keine Ursache. Ich bin gespannt, worum es geht, und nutze jede
Möglichkeit, dem Kantinenessen zu entfliehen.« Nowak lächelte aus grünen,
leicht schräg stehenden Augen und ließ Johannas eindringlich forschenden Blick
gelassen über sich ergehen. »Wollen wir eine Kleinigkeit essen?«
Johanna stimmte zu und entschied sich für eine scharfe Suppe.
»Ja, die ist gut, nehme ich auch«, meinte Nowak und rieb sich die
Hände. Sie schien sich aufs Essen zu freuen.
Johanna verzichtete auf einleitendes Geplänkel und zog die Akte aus
ihrem Lederrucksack, sobald der Kellner ihrem Tisch den Rücken gekehrt hatte.
»Lassen Sie uns der Reihe nach vorgehen. Kannten Sie Jörg Rauth eigentlich
persönlich? Wenn ja – welchen Eindruck hatten Sie von ihm?«
Katryna Nowak schüttelte den Kopf. Falls sie der flotte Einstieg
verblüffte, ließ sie es sich
Weitere Kostenlose Bücher