Berlin Wolfsburg (German Edition)
nickte. »Ich verstehe, aber darf ich Sie bitten, mich
jetzt allein zu lassen?«
»Sie dürfen. Danke für Ihre Gesprächsbereitschaft.«
Johanna trank ihren Kaffee aus und stand auf, um zu bezahlen und das
Lokal zu verlassen. Eines stand fest: Hatte Scheidner etwas mit den Morden zu
tun, würde es schwer werden, ihm das nachzuweisen. Vielleicht unmöglich.
***
Katryna war kurz vor dem Einschlafen. Das Essen war phantastisch
gewesen. Piets Qualitäten als Liebhaber verdienten das gleiche Prädikat.
Ihre Gedanken flossen ineinander über, während sie sich an seinen
breiten Rücken kuschelte – Marie Rauth, Johanna Krass und ihr Verdacht, das
Foto von der Unbekannten, Piets langatmiger Exkurs über den Ausbau des
Dachgeschosses, den er im Herbst realisieren wollte, damit sie zu zweit
genügend Platz hätten, eine Baufirma, die Dämmmaterial zu günstigen Konditionen
lieferte, Komfortbau, eine Feier am Wasser, Schlachtensee …
Sie schlug die Augen auf und starrte eine volle Minute in die
Dunkelheit, bevor sie sich aufsetzte und Piet an der Schulter rüttelte. »Ich
muss noch mal los.«
»Was?« Er war innerhalb einer Sekunde so wach, wie es nur Polizisten
sein können. Mütter und Mediziner verfügten über eine ähnliche Begabung, von
null auf hundert in den Aktivitätsmodus zu schalten, hatte Katryna gehört. »Ich
hab gar kein Handy gehört. Was ist los?«
»Mir ist etwas Wichtiges eingefallen, und ich muss dazu sofort einen
alten Fall recherchieren.«
»Wirklich jetzt? Hat das nicht bis morgen Zeit?«
Katryna schüttelte den Kopf. »Nein. Bis später.« Sie gab ihm einen
Kuss und stand auf.
Fünf Minuten später befand sie sich auf dem Weg zum LKA in Tempelhof, und eine Viertelstunde darauf betrat
sie ihr Büro, fuhr den Computer hoch, setzte Kaffee auf und loggte sich in die
Datenbank ein.
Katryna würde sich selbst nicht als Recherchespezialistin im
Innendienst bezeichnen, sie kannte auch keine besonderen Tricks, um an
gesperrte Daten zu gelangen, aber die Nutzung der üblichen Programme und
Anwendungen bereitete ihr nicht nur keine Schwierigkeiten, sie hatte sogar
Freude an ihnen – die schnelle Verfügbarkeit von Informationen und
Zusammenhängen, die unkomplizierte Möglichkeit, alte Fälle in kürzester Zeit
nachschlagen zu können, sofern sie bereits in der Datenbank erfasst waren,
faszinierte sie immer wieder. Sie gab die Stichworte »Komfortbau Berlin« ein
und wurde kurz darauf fündig.
Die Baufirma hatte im Laufe der letzten Jahre mehrfach mit der
Polizei beziehungsweise mit den Behörden zu tun gehabt – einmal wegen
Steuerhinterziehung, zweimal hatte es Anzeigen wegen Baupfusch gegeben, und
einmal war die Polizei nach einem Betriebsunfall auf den Plan gerufen worden.
Katryna öffnete die Online-Akte und nickte nachdenklich, als sie die ersten
Sätze sowie die Liste der vernommenen Zeugen und Zeuginnen überflog und ihr
Blick an einem Namen hängen blieb. Ihr Gedächtnis hatte sie nicht getäuscht.
Katryna war im letzten Sommer erneut für einige Wochen als
Vertretung im LKA -Berlin tätig gewesen und hatte
einen Kollegen bei den Vernehmungen unterstützt. Ein Komfortbau-Mitarbeiter war
während einer Betriebsfeier, die am Schlachtensee stattgefunden hatte,
verunglückt. Die Recherchen hatten ergeben, dass Mark Bäumer sturzbetrunken
gewesen war und seinen Rausch abseits des Partygeschehens in einem Gebüsch in
Ufernähe hatte ausschlafen wollen. Vielleicht war er dort auch einfach nur
umgekippt. Gegen Ende der Feier war er ertrunken im Schlachtensee aufgefunden
worden. Die Annahme, dass Bäumer mit dem Gesicht ins Wasser geglitten war,
aufgrund seines Alkoholpegels schnell das Bewusstsein verloren hatte und
ertrunken war, hatte sich bei den Zeugenbefragungen schnell
herauskristallisiert, um nicht zu sagen förmlich aufgedrängt.
Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren ein zweites Mal
vernommen worden, nachdem deutlich geworden war, dass Bäumer alles andere als
beliebt gewesen war. Niemand schien ihm auch nur eine Träne nachzuweinen, ohne
dass die Kolleginnen und Kollegen im Einzelnen dazu hatten Stellung nehmen
wollen. Doch abgesehen davon, hatte sich der Anfangsverdacht, dass Bäumer
möglicherweise getötet wurde, nicht verfestigt. Ein Unfall hatte sich ereignet,
für den der Betroffene weitestgehend selbst verantwortlich gewesen war.
Katryna schenkte Kaffee nach und klickte sich durch die einzelnen
Protokolle. Sie stellte ihre Tasse ab. Sarah Mohn. Ja, mit dieser Frau
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