Berlin Wolfsburg (German Edition)
»Worum genau geht es,
Frau Krass?«
»Um Jörg Rauth, zum Beispiel.«
»Zum Beispiel?«
»Ja, lassen Sie uns mit ihm anfangen. Sie waren befreundet …«
Scheidner beugte sich über den Tisch vor. Eine steile Falte nistete
sich über der Nasenwurzel ein. »Bei allem Respekt, Frau Krass, aber ich darf
Sie daran erinnern, dass wir darüber schon miteinander gesprochen haben – vor
einigen Tagen am Telefon«, sagte er ruhig, aber bestimmt. Ganz offensichtlich
hatte er nicht vor, sich von der Kommissarin den Appetit verderben zu lassen.
»Richtig. Am Montag, um genau zu sein«, gab Johanna gleichmütig
zurück. »Inzwischen haben sich einige Aspekte ergeben, die mich sehr
nachdenklich stimmen. Darum bin ich hier. Wie gesagt – ich hätte Sie sonst kaum …«
»Zum Beispiel?«
»Wie es aussieht, hatte Rauth in der Tat allen Grund, sich das Leben
zu nehmen: Er war hoch verschuldet, seine Frau hatte die Faxen dicke und wollte
ihn verlassen.«
Scheidner nickte. »Das ist ja auch nicht neu.«
»Darüber hinaus lag ihm Ärger mit einem alten Freund schwer auf der
Seele«, fuhr Johanna unbeirrt fort.
»Tatsächlich? Und Sie glauben, dass ich damit gemeint sein könnte?«,
fragte Scheidner.
»Durchaus. Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen oder
gesprochen?«
Der Staatsanwalt lehnte sich wieder entspannt zurück. »Ein, zwei
Wochen vor seinem Tod, glaube ich. Es ging ihm nicht gut, das war deutlich zu
sehen, aber … Wie ich auch schon sagte, ich bin nicht weiter in ihn gedrungen.«
»Warum eigentlich nicht?«
»So eng war unser Verhältnis nicht. Nicht mehr. Das habe ich auch
schon erläutert, wenn Sie sich bitte erinnern.«
»Tue ich. Warum hatte es sich abgekühlt?«
»Wie das manchmal so ist im Leben …«
Die Kellnerin servierte das Essen und die Getränke. Einen Moment
herrschte Stille am Tisch. Der Bürgerteller war vorzüglich. Scheidner hatte
Fisch bestellt. Er aß langsam und konzentriert.
»Lassen Sie uns nicht länger um den heißen Brei herumreden, Herr
Scheidner«, hob Johanna wieder an. »Nach dem Tod Ihrer Frau hat sich einiges in
Ihrem Leben abgekühlt – auch die Freundschaft zu den Rauths. Aber ich glaube,
dass es dafür noch andere Gründe gab.«
Scheidner hob den Blick. »Und ich glaube, dass Sie das nichts
angeht, Frau Kommissarin.«
»Ich befürchte doch. Jörg Rauth hatte sich kaufen lassen. Von einer
antimuslimischen Terrorgruppe. Er war übrigens nicht der Einzige.«
Scheidners Augen weiteten sich. Entweder war er ein sehr guter
Schauspieler oder er hatte seine eigenen Recherchen auf den Zusammenhang
zwischen Korruption und Straftat beschränkt, ohne allzu weit in die Tiefe zu
gehen. Oder Johanna lag völlig falsch mit ihrem Verdacht gegen ihn und konnte
langsam anfangen, sich warm anzuziehen, weil er ihr forsches Vorgehen sicher
nicht so stehen lassen würde.
»Der Verfassungsschutz ermittelt inzwischen gegen eine ganze Reihe
von Verdächtigen in Berlin, Niedersachsen und im Ruhrgebiet, und eine Vielzahl
von Fällen wird neu aufgerollt, aber die Todesfälle unter den Polizisten geben,
abgesehen von Rauths Suizid, immer noch Rätsel auf«, legte Johanna nach kurzem
Überlegen die Karten auf den Tisch.
»Und was wollen Sie von mir?«, fragte Scheidner und legte sein
Besteck beiseite. »Glauben Sie etwa, dass ich Jörg gedeckt habe? Das ist nicht
Ihr Ernst.«
»Als Marie Rauth Sie bat, in Jörgs Zimmer nach Auffälligkeiten
Ausschau zu halten, konnten Sie nicht wissen, worum es ging, geschweige denn,
in welche miesen Geschichten der Mann verwickelt war«, legte Johanna ihre
Überlegung dar. »Sie selbst wusste es ja auch nicht – sie ahnte lediglich, dass
einiges im Leben ihres Mannes nicht mit rechten Dingen zugegangen war, und sie
wollte sich nicht damit befassen.«
Scheidner nahm sein Besteck wieder zur Hand und aß weiter. »Stimmt«,
gab er zu. »Sie sind gut informiert. Marie bat mich, meine Blicke schweifen zu
lassen, aber ich habe auf die Schnelle nichts entdeckt.« Er zuckte mit den
Achseln.
»Sehen Sie, und genau das ist der springende Punkt. Ich glaube sehr
wohl, dass Sie auf etwas gestoßen sind …« Sie hob eine Hand, als Scheidner sie
unterbrechen wollte. »Das kann ich nicht beweisen, natürlich nicht, aber lassen
Sie mich bitte trotzdem fortfahren. Sie haben Aufzeichnungen gefunden, die
Jörgs Wettlust bestätigten und die sie entsorgen wollten, um die Familie vor
weiterem Kummer zu bewahren. Bei näherem Hinsehen wurde Ihnen jedoch klar, dass
sich
Weitere Kostenlose Bücher