Berlin Wolfsburg (German Edition)
die nüchterne
Feststellung, dass die aufgeführten Opfer unter Umständen nur die Spitze des
Eisberges, nämlich diejenigen waren, die aufgrund polizeilicher Ermittlungen
aktenkundig geworden waren. Zwischen dem verunglückten Bäumer und jener
Kinderschlägerin Monika Berthan lagen jedoch etliche Jahre, und über den
Unfalltod der Eltern lagen keinerlei Erkenntnisse vor … Johanna schluckte.
Ansonsten hatte Mohn ein wenig aufregendes Leben geführt – Schule,
kaufmännische Lehre, Aushilfsjobs in verschiedenen Firmen, schließlich eine
Festanstellung bei Komfortbau. Sie war zweimal innerhalb Berlins umgezogen, und
ihr polizeiliches Führungszeugnis war blütenweiß. Sarah Mohns Führerschein
berechtigte sie zum Fahren von Autos, Motorrädern und Lkws; sie hatte aber kein
Fahrzeug auf ihren Namen angemeldet.
Als Nachtrag zur Baufirma hatte Tony ihrem Bericht hinzugefügt, dass
das Unternehmen vor Kurzem eine bankrotte Tischlerei in Helmstedt aufgekauft
hatte.
Johanna las den Bericht zweimal. Anschließend leitete sie ihn an
Samthof und Kuhl weiter und sprach erneut mit Nowak, die sie zudem bat,
feststellen zu lassen, ob Mohn unter ihrer Berliner Adresse zu erreichen war.
Die Antwort traf innerhalb einer halben Stunde ein und wurde verneint; unter
Mohns Mobilfunknummer meldete sich lediglich die Mailbox.
Johanna zögerte nur kurz, bevor sie Mareni anrief. »Haben Sie Lust
auf einen Ausflug nach Helmstedt?«
Die Firma befand sich im Bruchweg im nordwestlichen Helmstedt.
Das Gelände war durch einen robusten Zaun gesichert, das Tor verschlossen. Das
Hauptgebäude, in dem Büro- und Werkstatttrakt untergebracht waren, machte einen
alles andere als maroden Eindruck. Die gesamte Anlage wirkte neu, sauber und
aufgeräumt. Außer einigen Paletten und zwei Fahrzeugen war der Hof leer.
»Wie ein bankrottes Unternehmen sieht das nicht aus«, bemerkte
Johanna und spähte durch den Zaun.
»Vielleicht hat sich der Meister bei einem Auftrag verkalkuliert
oder ein Auftraggeber ist pleite – das bedeutet für die Subunternehmen häufig
auch ganz schnell das Aus, insbesondere wenn hohe Kredite zu bedienen sind.«
»Und was will die Berliner Komfortbau mit einer Tischlerei in
Helmstedt? Zonenrandförderung gibt’s ja schon eine ganze Weile nicht mehr.«
Mareni zuckte mit den Achseln. »Vielleicht war der Betrieb ein
Schnäppchen. Glauben Sie wirklich, dass …«
Die Tür des Bürotrakts öffnete sich. Eine junge Frau trat auf den
Hof und sah zu ihnen herüber. Johanna hob eine Hand und winkte. »Ja, das glaube
ich«, antwortete sie leise.
Die Frau kam ihnen langsam entgegen; sie war schmal und zierlich und
trug ihr dunkles Haar kurz. Das Gesicht war blass.
»Frau Mohn?«, fragte Johanna.
»Ja, die bin ich. Sind Sie von der Speditionsfirma?«
»Nein«, erwiderte Johanna, während sie das Gesicht musterte und die
Stimme der Frau nachklingen ließ. Katryna Nowak hatte recht gehabt – ihr Klang
war bemerkenswert schön, eindringlich und klar. Eine Chorstimme, der man gern
zuhörte. Und Mohn war die Frau vom Foto, daran zweifelte die Kommissarin nicht
einen Augenblick.
»Würden Sie uns bitte hineinlassen?«, bat Johanna höflich. »Wir sind
von der Polizei.«
»Geht es um den Konkurs der Firma?« Mohn schüttelte bedauernd den
Kopf. »Ich bin eine Mitarbeiterin der Berliner Komfortbau, die die Tischlerei
gekauft hat, und gerade dabei, die Buchhaltungsunterlagen zu ordnen und zu
prüfen. Unser Anwalt sagte uns schon, dass hier noch einiges im Argen liegt.«
»Können wir das drinnen besprechen?«
»Wie Sie meinen.« Sarah Mohn seufzte und öffnete das Tor. Sie wirkte
völlig unbefangen.
Auf dem Weg ins Büro sah Johanna sich verstohlen um. Im Flur standen
jede Menge Kartons und Kisten, Möbel und diverse Gerätschaften. Mohn ging
voraus und verschwand hinter einem wuchtigen Schreibtisch, auf dem sich Ordner,
Hefter und zahllose Ablagekörbe stapelten und der sie noch zierlicher wirken
ließ. Ein PC summte träge vor sich hin.
»Sie sehen, ich habe mehr als genug zu tun«, sagte sie freundlich
und wies auf zwei Klappstühle, die hinter der Tür lehnten. »Bitte, nehmen Sie
Platz.«
»Sie kümmern sich also erst mal ums Aufräumen und machen klar
Schiff, bevor der Betrieb weiterlaufen kann«, meinte Johanna.
»Ja, so ist es …« Mohn sah sie fragend an. »Was genau wollen Sie
eigentlich?«
»Zunächst einmal möchte ich eine Liste aller Fahrzeuge einsehen,
über die die Tischlerei verfügt.«
»Warum das
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