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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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gab mir die Hand, winkte mir noch durch die Glasfront des Ausgangs nach und dann war ich allein. Ich holte das Auto aus der Tiefgarage und war im Nu auf dem Zubringer zur neuen Autobahn.

9
    Es stimmte mich jedes Mal eigenartig, wenn ich bemerkte, wie Mamas Gesprächsfaden ausfranste und Dinge daherkamen, zwischen denen es keinerlei Verbindung gab. Sie tat mir leid und ich hätte ihr gerne all das erspart, was ihr noch bevorstand, aber ihre Sturheit und ihre Weigerung, meine einigermaßen logischen Sichtweisen anzuerkennen, machten mich immer wieder wütend.
    „Es wird ihr bestimmt guttun, dem Mädchen“, hatte Mama am Telefon gesagt, als wir davon sprachen, dass Alma in den nächsten Monaten vielleicht hie und da ein paar Wochenenden bei ihrer Großmutter verbringen könnte, um ihr ein wenig zur Hand zu gehen, wenn ihre Putzfrau im Urlaub sei. Sie hatte von Alma gesprochen und dass sie sich freue, um dann von einer Sekunde auf die andere in eine Straße einzuschwenken, die am gegenüberliegenden Ende der Welt lag.
    „Du musst dir vorstellen“, sagte sie, fast in belehrendem Ton, „diese große Stadt! Wie leicht man sich da verirren kann. Er ist so alt und tattrig geworden, dass er von alleine nie mehr den Weg nach Hause findet. Und Gregor hat keine Zeit, das weißt du ja.“
    „Von wem redest du Mama?“
    „Von eurem Vater!“
    „Er ist nicht alt, Mama, und schon gar nicht tattrig“, hatte ich in den Hörer geschrien, nachdem mir klar wurde, wo sie mit ihren Gedanken hingeraten war, „er ist tot, er ist mausetot.“
    „Meinst du?“
    „Vater ist auf dem städtischen Friedhof, Feld B, Reihe 18, der zweite von links, wir haben ihn dort beerdigt“, sagte ich, so kühl ich konnte.
    Jetzt stockte Mutter. Ihr Redefluss brach von einer Sekunde auf die andere ab.
    „Vielleicht hast du recht, Gregor“, sagte sie nach einem langen Augenblick der Stille, „ich bin schon seit Tagen so …“, sie suchte nach einem Ausdruck, der vielleicht ihre Verwirrung vermitteln sollte, aber sie kam mit ihrem Gedanken nicht zu Ende und dann weinte sie.
    „Mama“, sagte ich und wartete, dass sie sich wieder beruhigte. Mutter schniefte noch einmal laut auf und innerhalb kurzer Zeit gewann sie ihre gewohnte Souveränität zurück.
    „Nein, nein“, rief sie in den Hörer, „ich lasse mich nicht täuschen. Ich weiß ja, was los ist.“
    „Mama!“
    „Ach was“, hatte Mutter gerufen und dann den Hörer auf die Gabel geknallt, „es ist doch wieder diese Frau. Ich lass mir nicht noch mal was vormachen!“
    Es war schon beinahe dunkel, als ich die Berliner Stadtautobahn verließ. Das Hotel, in dem ich als Kongressteilnehmer untergebracht war, befand sich irgendwo in Berlin Mitte, unweit vom Prenzlauer Berg, neu errichtet, ein heller Bau mit glatten Steinfassaden, der in dem Viertel seltsam fremd wirkte. An der Rezeption sagte ich dem uniformierten Mädchen, dass ich noch nicht genau wisse, ob ich etwas länger bliebe als die drei Seminartage, und sie antwortete mir, das sei kein Problem.
    Das Zimmer war klein und hatte zwei schmale Fenster, die in den Innenhof zeigten. Ich hatte Mama versprochen, sie gleich anzurufen, wenn ich in Berlin angekommen sei. Aber als ich das Mobiltelefon aus meiner Tasche holte, sah ich, dass Gregor dreimal versucht hatte, mich zu erreichen.
    „Ich habe dreimal versucht, dich zu erreichen“, sagte Gregor, als ich zurückrief, „hast du geschlafen?“
    „Was ist los?“, fragte ich.
    „Nichts Besonderes“, sagte er.
    „Und dafür rufst du mich an?“
    „Nein“, sagte Gregor, „versteh doch. Ich wollte einfach nur mit dir reden. Über Mama und diese ganze unsägliche Geschichte.“
    „Na, dann rede“, sagte ich, „ich bin ganz Ohr.“
    Ich war auf der Hut, bei Gregor musste man immer vorsichtig sein.
    „Du bist nicht in der Stimmung“, sagte Gregor, „das höre ich.“
    „Das hat dich noch nie gehindert“, entgegnete ich.
    „Ich mach’s kurz“, sagte Gregor, er dehnte die Zwischenpausen und ich spürte, wie er versuchte, die richtigen Worte zu finden, „du musst verstehen, es ist nicht so einfach für mich. (Pause) Aber hör zu. Ich muss dich um eines bitten. (Nämlich?) Vergiss diese Geschichte. Vergiss sie bitte. (Welche Geschichte?) Das mit Vater und dass er vor meiner Haustür und so weiter. (Bitte?) Ich weiß wirklich nicht, was damals mit mir los war.“
    Ich öffnete eines der beiden Fenster. Kühle Abendluft floss in den Raum vermischt mit dem Lärm der abendlichen

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