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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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fährt durch die Nacht. Sie ist müde, erschöpft, angespannt und fühlt sich doch auf eine merkwürdig schwebende Weise wach. Sie empfindet eine ihr selbst unangemessen erscheinende Solidarität mit den Beamten, die jetzt die Nacht hindurch arbeiten und herausfinden müssen, wem dieses Auto gehört hat und wer dieser Tote war, von dem der Gerichtsmediziner wohl doch zu wissen glaubt, dass es ein Mann war. Offenbar hat er es an den Knochen gesehen. Aber was heißt das: Solidarität mit den Beamten? Nichts heißt das, sie gehört nicht dazu, denn die Beamten müssen arbeiten, und sie? Sie fährt nach Nikolassee und legt sich ins große französische Bett und hat es für sich allein.
    Das Scheinwerferlicht streift Bäume, einen nach dem anderen. Eine Allee, die kennt sie doch. Neulich erst ist sie da durchgekommen. Was heißt neulich? Vorgestern war das, nach dem Theater, und da vorne ist auch schon die Parkbucht … Schwamm drüber! Sie schaut auf die Uhr, es geht auf Mitternacht zu, was überlegt sie jetzt? Da vorne zum Beispiel: Da kann sie geradeaus fahren, dann ist sie in zwanzig Minuten zu Hause, ja doch. Oder sie könnte links abbiegen. Warum? Darum. Weil es ihr vielleicht gerade danach ist, nicht geradeaus zu fahren. Weil man nicht immer einen Grund angeben muss, weshalb man etwas tut. Eine Windböe wirbelt Laub durch die Lichtkegel der Scheinwerfer ihres Wagens, vor ihr ist jetzt die Kreuzung, ohne zu überlegen, setzt sie den Blinker und ordnet sich links ein. Woher kommt auf einmal dieses merkwürdige, flirrende Gefühl im Bauch?
    Es ist Unsinn, was sie tut. Und ungehörig. Es ist nicht die Zeit dafür. Niemanden kann man um diese Zeit überfallen. Es geht nicht. Man ruft nicht einmal an um diese Zeit. Nur im Notfall. Na gut, wenn jemand absolut nicht gestört werden will oder ganz einfach ins Bett gegangen ist, dann hat er sein Handy sowieso ausgeschaltet. Ist doch so. Also … ach egal! Zum Glück hat sie auf dem Berliner Stadtplan schon nachgesehen, wie sie zu dieser einen Adresse fahren muss. Aber die Verkehrsführung ist anders, als sie gedacht hat, es sind alles Einbahnstraßen, sie muss noch um einen Block herum, dann ist sie endlich richtig und findet kurz nach dieser einen Hausnummer auch einen Parkplatz. Sie stellt den Motor ab und lehnt sich im Fahrersitz zurück, die Augen geschlossen. Die Blätter im Herbstwind …
    Sie atmet tief durch und holt ihr Handy aus der Seitentasche. Sie gibt die Nummer ein, die sie bereits auswendig gelernt hat, zögert dann aber, auf die Anruftaste zu drücken. Was wird sie sagen? Entschuldigen Sie bitte die Störung, das ist eine unmögliche Zeit, aber ich bin gerade vorbeigekommen und dachte, vielleicht sind Sie noch auf, und ich kann Ihnen etwas …
    Jemand klopft an die Seitenscheibe des Wagens. Es ist eine große schlanke Gestalt, die aus der Dunkelheit der Nacht an das Auto getreten ist. Gehorsam lässt Karen die Seitenscheibe herunter.
    »Wollten Sie zu mir?«, fragt Tamar Wegenast.
    »Ja«, sagt Karen. »Das heißt …« Sie zieht den Zündschlüssel ab und steigt aus. Tamar Wegenast steht vor ihr, ganz nah, und sieht in der Nacht noch größer aus. »Ich bin zufällig …« Sie bricht ab, denn die Lüge ist doch zu offenkundig.
    »Wenn Sie schon hier sind, dann kommen Sie doch einfach mit rauf.« Eine überschwänglich herzliche Einladung ist das nicht, aber da Tamar bereits den Weg zu dem Wohnblock vor ihnen eingeschlagen hat, läuft Karen eben hinter ihr her. Das ist gar nicht so einfach, noch nie hat sie eine Frau gesehen, die mit so weiten raschen Schritten geht. Sie durchqueren den Eingang zum ersten Treppenhaus, gehen über einen Innenhof, vorbei an einem zwischen Fahrradständer und Mülltonnen eingezwängten Kinderspielplatz, Tamar schließt die Eingangstür zum Hinterhaus auf und lässt Karen eintreten. Es müffelt feucht. »Fahrstuhl ist nicht«, sagt Tamar. Karen hat nichts anderes erwartet. Gehorsam steigt sie die Stockwerke hoch und folgt wie ein Hündchen der großen schlanken Frau, die die Treppe hinaufzustürmen scheint.
    Endlich sind sie oben angekommen, im Dachstock, Tamar Wegenast schließt eine Wohnungstüre auf, schaltet Licht ein und lässt Karen eintreten. Das Licht an der Decke ist nichts weiter als eine Glühbirne in ihrer Fassung, ihr Licht fällt auf einen dunklen Holztisch mit Schreibtischlampe, Notebook und einem Stapel Bücher. Davor ein Schemel. In einer Ecke liegt ein Futon zusammengerollt. Aus Backsteinen und Brettern ist ein

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