Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Buchregal hochgezogen, die Bücher sind darin eher gestapelt als eingeordnet. Ein Durchgang führt zu Kochnische und Toilette. Die Außenwand ist angeschrägt, ein Dachfenster verspricht einen Ausschnitt des Nachthimmels. Die Wand dem Bücherregal gegenüber ist kahl, ein großformatiges Bild ohne Rahmen ist dort aufgehängt, ein weiblicher Akt in groben Strichen, nur einzelne Partien sind ausgemalt, die Frau darauf sitzt auf einem Stuhl, die langfingrigen Hände auf die gespreizten Oberschenkel gelegt, leuchtend das brandrote Schamhaar. Der Blick der Frau ist auf den Betrachter gerichtet, es ist ein kühler und wachsamer Blick.
»Das sind Sie?«, fragt Karen.
»Eine Freundin von mir hat das gemalt. Es ist eine Erinnerung an früher … Sie lebt schon lange in den Staaten. Trinken Sie einen Nescafé mit? Sonst kann ich nur Wasser anbieten.«
»Gerne«, sagt Karen und dass das ein tolles Bild sei. Und noch während sie es sagt, ärgert sie sich bereits. Warum nur fällt ihr nichts anderes ein als eine dumme Allerweltsfloskel! Tamar aber ist sowieso in der Kochnische verschwunden und stellt offenbar den Wasserkocher an.
Dann erscheint sie wieder auf der Bildfläche, lehnt sich an die Trennmauer vor dem Durchgang, die Arme vor der Brust verschränkt, und betrachtet Karen, die noch immer im Zimmer steht wie ein dort abgestelltes Stück Frachtgut. Schließlich zwingt sich Tamar ein kurzes Lächeln ab und deutet auf den Hocker. »Eine andere Sitzgelegenheit hab ich nicht. Bitte!« Karen zögert, dann beschließt sie, sich nicht länger wie ein kleines Schulmädchen aufzuführen, und setzt sich auf den Hocker, die Beine übereinandergeschlagen, den Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und den Kopf in die Hand geschmiegt. Sie gibt den Blick zurück, mit dem Tamar sie mustert.
»Das Bild ist so toll«, hört sie sich sagen, »weil es eine tolle Frau zeigt. Aber Sie haben es aufgehängt, als wäre ein Herzleid dabei … Entschuldigung, es fällt mir gerade kein besseres Wort ein.«
»Herzleid ist okay. Aber es ist vergangen.« Der Wasserkocher beginnt zu sprudeln, sie dreht sich um und verschwindet in der Kochnische. Karen betrachtet noch einmal das Bild. Ja doch, der Blick der Frau ist kühl. Und dennoch, so kommt es ihr vor, dringt er durch jede Panzerung. Für einen Moment schließt sie die Augen, denn sie weiß nicht, was dieser Blick mit ihr tut und wie sie mit ihm umgehen soll. Karen hat keine Erfahrung damit.
Tamar kommt aus der Küche und bringt auf einem Tablett die Kanne des Wasserkochers, zwei Becher, eine Dose Nescafé, eine angebrochene Flasche Kaffeesahne und eine Packung Würfelzucker. Sie stellt das Tablett auf dem Holztisch ab und schwingt sich dann selbst daneben auf den Tisch. »Den Kaffeelöffel müssen wir uns teilen. Ich hab nur einen sauberen.«
Karen sagt, dass sie den Kaffee sowieso schwarz trinkt und ohne Zucker. Tamar füllt in beide Becher Kaffeepulver, Karen will nicht so viel davon. »Mir ist sowieso ein bisschen flattrig.«
»Ah ja«, macht Tamar und gießt die beiden Becher mit heißem Wasser auf. »War noch was heute Abend?«
Karen zögert einen Augenblick, aber dann erzählt sie doch. Was erzählt sie? Ein ziemliches Durcheinander, so kommt es ihr vor – dass sie mit der Staatsanwältin unterwegs war, dass die Staatsanwältin Taucher angefordert hat und dass es wieder einen Toten gibt, einen Toten in einem ausgebrannten Auto, und dass eine Zeugin gesehen hat …
»Auf das Auto wurden Mollies geworfen?«, fragt Tamar scharf. Karen nickt, ja doch, Mollies. Tamar holt ein Handy aus der Tasche ihres Tweed-Sakko, den sie noch immer nicht abgelegt hat, klappt es auf und wählt eine Nummer. Karen sieht ihr zu, ein wenig unbehaglich, was hat sie da gerade eben ausgeplaudert und für wen? Das Gespräch wird angenommen, Tamar meldet sich kurz.
»Taucher sind angefordert, und es hat einen weiteren Toten gegeben … Nein, diesmal kein Kopfschuss. Brandbomben … Vermutlich ein Mann … Nein, ein Besuch …«
E ntschuldigung!«, bittet Berndorf und schaltet das Handy wieder aus. Tamar hat also Besuch. Einen Besuch von jemandem, der offenbar jemanden bei der Staatsanwaltschaft kennt. Sehr praktisch. Was gehen ihn Tamars Besuche an? Nichts. Nur dass ihm heute Abend schon zum zweiten Mal etwas über Brandbomben erzählt wird. Er greift zu dem Glas, das vor ihm steht. Ist das jetzt das vierte oder fünfte? Egal. Noch immer nimmt der Obstschnaps kurz den Atem weg.
»War das die schöne Dame?«,
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