Berndorf 07 - Trotzkis Narr
abgestumpft«, wiederholt die Staatsanwältin. »Danke. Ich glaube, das sehen Sie auch ganz richtig. Aber warum sind Sie erschrocken? Und auch noch über sich selbst?«
»Über meinen Mangel an Teilnahme.« Karen versucht ein Lächeln. »Ich habe den Toten gesehen, und da war nichts. Gar nichts. Und darüber bin ich erschrocken. Obszön kam mir erst der Jutesack vor …«
»Der Jutesack?«
»Ja, dieser Sack, der über den Toten gebreitet war, damit man ihn nicht sehen soll. Das hatte was geradezu Kindliches, vielleicht war es gerade das, was mir so obszön erschien.«
»Ein Sack ist dazu da, dass man was hineintut«, erklärt Professor Wohlfrom. »Also Kartoffeln. Oder Kohlen. In diesem Fall sollte offenbar eine Leiche hinein. Damit stellt sich die Frage …«
»Der Jutesack lag über dem Toten«, stellt die Staatsanwältin richtig. Sie tut es nicht ohne Schärfe. »Es wurde nichts hineingesteckt.«
»Du lässt mich nicht ausreden«, beklagt sich Wohlfrom. »Wenn ein Sack da war, dann war auch angedacht, etwas hineinzutun. Um den Sack samt Inhalt in den Keller zu transportieren. In welchen Keller?«
Seine Frau schließt für einen Moment die Augen. Dann atmet sie tief durch. »Also gut«, sagt sie, steht auf, geht zum Telefon und wählt eine Nummer. Sie muss einige Rufzeichen warten, dann wird das Gespräch angenommen.
»Wohlfrom-Kühn hier«, meldet sie sich. »Keith … wo stecken Sie eigentlich?«
In ihrem Ton ist etwas, dass Karen aufmerkt. Wieder ist im Gesicht und noch mehr in der Haltung ihrer Gastgeberin Dagmar Wohlfrom-Kühn die Veränderung vorgegangen, die sie schon einmal beobachtet hat. Am Telefon steht nicht mehr die Vortragsrednerin, nicht die angehende Politikerin und auch nicht die Ehefrau, die die Weinflaschen nachzählen muss. Am Telefon steht wieder die Staatsanwältin.
»Nein«, sagt sie langsam, »ich bin noch nicht verständigt worden … ich wollte, ach egal! Wo ist das noch mal?« Sie beugt sich zu dem Notizblock, der auf dem Sideboard neben dem Telefon liegt, und schreibt auf, was ihr der Gesprächspartner durchgibt. »In zwanzig Minuten!«, sagt sie dann noch und legt auf. Sie wendet sich wieder zum Tisch und wirft einen langen, geradezu eindringlichen Blick auf Karen Andermatt. »Irgendwer will, dass wir hier nicht ruhig zusammensitzen, Sie werden jetzt so oft zu uns kommen müssen, bis wir wenigstens einmal zu Ende essen können, ohne dass irgendwo eine Leiche gefunden wird.«
»Eine neue Leiche?«, fragt Professor Wohlfrom. »Wieder in einem Jutesack?«
»Nein«, kommt die Antwort. »Wir haben keine Leichen in einem Sack. Nicht eine. Was wir jetzt haben, ist eine Leiche in einem Auto.« Sie bleibt beim Tisch stehen und massiert sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. »In einem ausgebrannten Auto. In einem Auto, das man mit Brandbomben angezündet hat …« Sie lässt die Hände wieder sinken und blickt Karen an. »Kommen Sie mit?«
E in weiter Platz. Fahrzeuge. Transporter. Absperrungen, von uniformierter Polizei bewacht. Scheinwerfer, die einen inneren Kreis ausleuchten wie eine Zirkusarena. Aber kein Tiger springt durch den Feuerreifen, alles Feuer ist niedergebrannt und hat nur grauschwarzes verschmortes Blech zurückgelassen. Auf einer Bahre schwärzliche Überreste. Jemand sagt, das sei einmal ein Mensch gewesen. Als sie noch einmal hinschaut, erkennt Karen, dass diese Überreste zusammengekrümmt sind, fast wie ein Kind im Mutterleib.
Keith, der Kommissar aus der Nachrichtensendung, kommt auf sie zu, tauscht mit der Staatsanwältin und sogar mit Karen einen Händedruck. »Aber der Personenschutz?«, fragt er. Den habe sie schon vor Stunden nach Hause geschickt, erklärt die Staatsanwältin. »Und?«
»Wir wissen noch nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war«, erklärt Keith. »Wir fanden die Leiche auf dem Beifahrersitz, vermutlich waren die Hände an den Haltegriff über der Wagentür gefesselt worden … Der Täter hat dann von da oben …«, er zeigt auf den Erdwall, der neben ihnen aufragt, »… eine oder zwei Brandbomben auf den Wagen geworfen. Zeugen haben das gesehen …«
»Schon wieder Zeugen, die man dabei zusehen lässt«, sagt die Staatsanwältin, als führe sie ein Selbstgespräch.
»Die beiden werden noch vernommen«, sagt Keith, zeigt auf eines der Einsatzfahrzeuge und geht ihnen voran. Sie kommen zu einem VW-Bus, eine schwarzhaarige junge Frau mit blassem Gesicht und auffallend blauen Augen sitzt darin und berichtet der Kriminalbeamtin
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