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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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meine Schuld, denkt sie, ich hätte sie gestern Nacht nicht mit meinem Besuch überfallen sollen, mit meinem unnötigen, unangebrachten, unmotivierten Besuch, jetzt ist alles nur peinlich, und noch peinlicher wäre es, irgendein unverfängliches Gesprächsthema aufgreifen zu wollen. Vielleicht ist es das Beste, einfach neben ihr herzugehen, es ist kein schlechter Nachmittag für einen Spaziergang, über den Bäumen lassen die Wolken immer wieder Platz für ein wenig blauen Himmel, viele der Bäume sind kahl, andere tragen noch gelbes Laub, das gibt dem Wald Luft und Licht und Tiefe, und manchmal hat man Blick auf einen schmalen Wasserlauf.
    Der Weg, der zu Beginn gekiest war, ist von Laub und halbgetrockneten Pfützen überzogen, im angeschwemmten Erdreich zeichnen sich Reifenspuren ab, breite Spuren von Autos, schmalere von Mountain-Bikes. Am Parkplatz hatte noch ein Schwarm Krähen randaliert, jetzt ist der Wald still, aber es ist eine Stille – so kommt es Karen vor –, als würden die Tiere darin auf die Schritte und das Atmen der beiden Eindringlinge lauschen. Unvermittelt bleibt Tamar stehen und beugt sich dann zu etwas Graublauem hinab, das auf dem Weg liegt, es ist der gekrümmte Kadaver einer plattgefahrenen Schlange, auch Karen beugt sich nach unten, wenn auch mit einigem Abstand, sie kann den Kopf des Reptils erkennen und die gelben Halbmonde darauf. Verblüfft sieht sie, wie Tamar mit beiden Händen die tote Ringelnatter vom Boden löst und in den Schutz der vom Gras bewachsenen Böschung legt.
    »Ich mag nicht, dass man dieses Tier so liegen lässt«, erklärt sie und geht weiter.
    »Aber die Leute sollten doch sehen, dass es hier Ringelnattern gibt«, wendet Karen ein. »Vielleicht fahren sie dann etwas vorsichtiger.«
    »Ach, die Leute! Die sehen nichts, nicht einmal das, was vor ihnen liegt.«
    Karen weiß dazu nichts mehr zu sagen, außerdem muss sie Schritt halten, denn Tamar hat wieder ihr voriges Tempo aufgenommen. Rechts vor ihnen sieht sie durch die Bäume den Unterstand, dann weitet sich der Weg zu einem Vorplatz, keine rotweißen Absperrbänder mehr, deutlich sind die Reifenspuren mehrerer Fahrzeuge zu erkennen.
    »Da drüben«, sagt sie.
    W ie ein gewaltiger Hafenspeicher aus Stahl und Glas ragt das Hotel- und Kongresszentrum Spreeufer hoch über den Kiez. Es ist noch Nachmittag, an der Rezeption ist es ruhig, die junge Empfangsdame vermeidet es, den Neuankömmling noch deutlicher zu mustern, als sie es bereits getan hat. Frisch gefärbtes weißblondes Haar, das eine Auge blau marmoriert, eine Reisetasche wie eben erst im Supermarkt gekauft, dazu Schnürstiefel: Dies ist – auf den ersten Blick – nicht das Erscheinungsbild des Gastes, für den dieses Hotel konzipiert wurde. Auf den zweiten Blick kann er das sehr wohl sein. Die Kreativ-Szene ist vielfältig. Die Stiefel kann sich ein Topdesigner geschnürt haben, und die weißblonden Haare mit Mittelscheitel mag sich der Akkordeonist einer neuen deutschen Volksrock-Band verpasst haben lassen … Ein Einzelzimmer? Für eine Nacht? Gerne!
    Der Preis, 146 Euro, schreckt den Gast nicht ab, er füllt den Meldezettel aus – Detlef Patzert, 43 Jahre, wohnhaft in Kühlungsborn, Uferstraße 13, Anlagenbauer – und nimmt die Chipkarte für das Zimmer 748 in Empfang. Er geht zu den Fahrstühlen, die Reisetasche über der Schulter, gefolgt von dem Blick der zweiten Empfangsdame, die dann fragend zu ihrer Kollegin schaut. Doch die hebt nur kurz die Augenbrauen und senkt sie gleich wieder, ganz dezent, fast unmerklich tut sie das.
    Harlass fährt mit dem Fahrstuhl in die siebte Etage. Auf seinem Gesicht übt er einen Ausdruck ein, der zwischen unbeteiligt und gelangweilt liegt, aber seine Finger trommeln an die Wand der Liftkabine einen Rhythmus, den sie ganz von selbst zu den Worten gefunden haben:
    Ich werde es/Euch allen/Euch allen werde ich es zeigen …
    Für seine 146 Euro ist das Zimmer auch nicht viel größer als das Kabuff in der Absteige von letzter Nacht, aber dafür ist alles wie geleckt. Vor ein paar Tagen hat er noch um kaltes Wasser aus einer rostigen Pferdetränke froh sein müssen, nun hat er ein ganzes Bad für sich, mit blankpoliertem Glas und blitzenden Kacheln und funkelnden Armaturen. So ändern sich die Dinge! Er stellt die Reisetasche ab, in der aber nur der Brotbeutel aus Crammenow drin ist und im Brotbeutel die 464 Viking.
    T amar hat sich den Platz vor dem Unterstand angesehen, die Abdrücke der Reifen und auch die anderen

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