Berndorf 07 - Trotzkis Narr
könnte sein, dass auch heute Leute den Weg hierherfinden, die in einer besonderen, in einer angespannten Situation sein werden. Eben deshalb meine ich, es sei kein Tag für den Schnaps.« Er hebt kurz und abwägend die Hand, als wisse er selbst nicht, ob damit alles gesagt sei. »Das heißt nicht, dass ich das für unbedingt wahrscheinlich halte. Ich wäre nur gern hier, wenn es doch passieren sollte.«
Finklin hebt kurz die buschigen Augenbrauen und klebt dann die Zigarette zusammen. Außerdem klopft es, und Maria kommt herein, lächelt Berndorf freundlich an und stellt auf dem Schreibtisch ein Tablett ab mit einer blechernen Teekanne auf einem Rechaud, einer Zuckerdose, einem Kännchen Milch und zwei Trinkschalen aus Keramik. Verblüfft stellt Berndorf fest, dass sie einen Knicks vor ihm macht, bevor sie wieder geht.
»Könnten Sie nicht mal zur Sache kommen?«, fragt Finklin, die angezündete Zigarette in den Mundwinkel geklemmt, das eine Auge wegen des Rauchs zugekniffen, Berndorf mit dem anderen fixierend. »Wer soll hierherkommen, und warum wollen Sie dabei sein?«
»Harlass ist der Name, Lutz Harlass. Die Berliner Polizei sucht ihn, weil er zwei oder vielleicht drei Leute umgebracht hat. Darunter Ihren Freund Giselher. Aber das wissen Sie ja alles. Ich denke, dass er bei Ihnen gewesen sein muss, hier in diesem Haus, und dass er vielleicht hierher zurückkommen wird.«
»Und warum sollte er das getan haben? Und wieder tun? Ausgerechnet er? Und dann noch ausgerechnet in dieses Haus?«
»Das sind alles Fragen, die Sie selbst besser beantworten können. Aber Sie wollen ja nicht. Ihre Auskünfte wären hilfreich, aber sie sind jetzt nicht so wichtig. Wichtig ist jetzt vor allem, dass dies ein Haus ist, in dem man keine Polizei ruft. So haben Sie es jedenfalls gesagt.«
»Und das gilt weiterhin. Aber ich habe Ihnen gestern auch gesagt, wir kämen ins Geschäft, wenn Sie den finden, der für diesen ganzen Wirrwarr verantwortlich ist«, sagt Finklin, gießt sich probeweise einen Schluck Tee ein, um zu sehen, ob er gezogen hat. Offenbar ist er zufrieden, und er füllt beide Schalen. »Offenbar wissen Sie das nicht mehr. Nehmen Sie Zucker oder Milch?«
»Weder noch.« Berndorf steht auf und nimmt seine Schale. »Wenn Harlass hierher zurückkommt«, sagt er dann, »werden andere Leute folgen. Vielleicht bekommen wir dann den zu Gesicht, den Sie suchen.«
Finklin blickt auf, fragend, sogar ein wenig irritiert.
T amar sitzt an Karens Schreibtisch, eingepackt in einen rotweiß-gestreiften Bademantel aus Stefan Andermatts Kleiderschrank, eine Tasse Tee vor sich und das Telefon in der Hand.
»Nein«, sagt sie, »das ist kein Fall für die Polizei, da die Polizei auf dem Standpunkt steht, es gebe keinen Hinweis auf ein Verbrechen … nein, angeblich nicht, wenn sich die Polizei auf einen Standpunkt gestellt hat, dann kann die Welt zusammenstürzen, aber die Polizei steht noch immer auf ihrem Standpunkt …«
Karen, die gerade vorhin die Jeans aus dem Trockner geholt hat und dabei ist, sie aufzubügeln, hört mit einer Mischung aus Faszination und Skepsis zu. Was erzählt Tamar da?
»Der Mann heißt – oder vielleicht sollte ich sagen: hieß – Erwin Krummschmidt, lebte zuletzt in Mitte, kein direkter Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht, er lief in Frauenkleidern herum und nannte sich Carmencita, solche Männer sind ja besonders gefährdet, übrigens hat die Presse damals über den Fall berichtet, ich kann Ihnen ein paar Ausschnitte faxen … nein, die Familie ist wohl nicht vermögend, aber es sind jetzt Gelder zur Verfügung gestellt worden, um den Fall aufzuklären.«
Sie blickt zu Karen, und die hebt den Daumen.
»Ja, es gibt Zeugenaussagen, die es für möglich erscheinen lassen, dass Krummschmidt oder vielmehr seine Leiche dorthin gebracht und im Wasser versenkt wurde, ich nehme an, dass man die Leiche mit Steinen beschwert hat. Wissen Sie, mit dem Wagen kann man ja bis zu diesem Unterstand fahren, und von da aus sind es nur wenige Schritte bis zur Böschung. Natürlich gibt es in Berlin genug andere Plätze, der oder die Täter müssen ortskundig gewesen sein, gut möglich, dass sie nach dem Verbrechen unter Stress standen und eben als Versteck nahmen, was ihnen als Erstes einfiel … Da haben Sie Recht, natürlich, bei so einem Unterstand wird gerne auch mal gefeiert, und manchmal gerät so eine Feier aus den Fugen und irgendein Kerl rastet aus, weil die angebliche Frau zwischen den Beinen gar keine
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