Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Frau ist … genau … und Ihre Vorstellungen zum Honorar … Ach so, kein Honorar, aber eine Spende für den Verein?«
Wieder blickt sie zu Karen, und Karen hebt diesmal beide Daumen.
D as Kongresszentrum hat auch eine Alt-Berliner Gastwirtschaft mit rot-weiß-karierten Tischdecken und gerahmten Zeichnungen an den Wänden, von denen Harlass nicht weiß, was daran lustig sein soll. Er hat sich eine Erbsensuppe und noch einmal ein kleines Bier bringen lassen, danach einen Kaffee, den er ins Fernsehzimmer mitnimmt. Aber dort ist er nicht allein, eine magere Frau mit Haaren in der Farbe vertrockneter Karotten sitzt da und telefoniert, während im Fernsehen eine Vorabend-Soap läuft, der sie den Ton abgestellt hat. Weil er nicht auffallen will, macht Harlass nicht an der Türe kehrt, sondern setzt sich abseits in einen Ledersessel, die Kaffeetasse in der einen Hand, und blättert mit der anderen in einer Programmzeitschrift.
»Nein«, sagt die Rothaarige, »es gibt jetzt überhaupt keinen Grund, Panik zu schieben, das ist eine sehr angenehme zwanglose Atmosphäre, geradezu intim, und wenn noch mehr Besucher kommen, können wir im Handumdrehen noch zusätzliche Stühle … Das ist doch Unfug, es sind schon … nein, nein, der Vorverkauf war ordentlich, und ich hab auch ein paar der ganz wichtigen Feuilletons interessieren können … Pfauth, stell dir nur vor, wird persönlich kommen, der hat einen hervorragenden Ruf als literarischer … Du stotterst überhaupt nicht, du hast überhaupt nie gestottert, du hattest mal eine Sprachhemmung, aber das liegt alles hinter dir, so weit hinter dir, als ob es überhaupt nie gewesen wäre … Du stellst einfach beide Füße fest auf den Boden, so fest, dass du spürst, wie dich der Boden trägt, und so, wie dich der Boden trägt, so trägt dich dein Text …«
Harlass hat den Kaffee ausgetrunken und stellt die Tasse auf den Couchtisch neben die Programmzeitschrift. Leise steht er auf und geht hinaus ins Foyer. Auf einer Anschlagtafel sind die Veranstaltungen angekündigt, die in den einzelnen Sälen stattfinden werden, im Blauen Salon findet um 20 Uhr irgendetwas statt, das mit einem Wolfsrach zu tun hat, und im Reuter-Forum spricht zur selben Zeit Dagmar Wohlfrom-Kühn … Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr, er geht zum Reuter-Forum, das ist abgeschlossen, daneben ein breiter Korridor, weitere Konferenzräume befinden sich dort und auch der Blaue Salon. Er schlendert den Korridor hinunter, die Tür zum Blauen Salon lässt sich öffnen, der Salon ist dunkel, im Licht, das von der Tür hereinfällt, schimmern hellblau gepolsterte Stühlchen. Er schließt die Tür wieder und dreht sich um und versucht, sich weiter zu orientieren.
Vor ihm öffnet sich eine weitere Tür in ein Treppenhaus, er geht hinab und kommt so – an einem Kassenautomaten vorbei – zur Tiefgarage. Die meisten Parkplätze in dieser Etage sind bereits belegt. Etwa fünfzig Meter links von ihm befindet sich der Hauptaufgang zum Kongresszentrum. Auch den sieht er sich an. Vor dem Eingang hat man zwei Schilder aufgestellt, die die Parkplätze davor freihalten, auf den Schildern sind mit Kreide die Kennzeichen der Fahrzeuge notiert, die parken dürfen. Eine automatische Glastür öffnet sich vor ihm, er gelangt in einen Kassenraum mit weiteren Automaten und drei Fahrstuhlschächten, mit den Fahrstühlen kommt man ins Foyer und zu den oberen Stockwerken.
Harlass hat genug gesehen, er kehrt zum Treppenhaus zurück und überprüft noch einmal, welche Sicht man von dort zum Hauptaufgang hat. Es wird besser sein, denkt er, näher heranzugehen. Zwischen den geparkten Autos müsste es dafür genug Möglichkeiten geben. Er steigt wieder die Treppe hoch und geht an den Konferenzräumen vorbei zum Foyer.
An der Rezeption steht ein Mann im dunklen Mantel, den Hut neben sich auf den Tresen gelegt, und er steht nicht vor dem Tresen, sondern dahinter, neben dem Mädchen, bei dem sich Harlass eingetragen hat, und sie gehen irgendetwas durch, das muss die Liste der Anmeldungen sein, was sonst soll den Kerl mit dem Schnüfflergesicht hier auch interessieren! Harlass befindet sich bereits im Foyer, also macht er nicht auf dem Absatz kehrt und geht nicht zum Treppenhaus zurück – das wäre zu auffällig –, sondern er zwingt sich, ganz ruhig und bedächtig zu den Aufzügen zu gehen, nicht ein einziges Mal schaut er noch zur Rezeption, es ist kein Aufzug frei, er muss erst einen rufen, und das dauert, einer steigt von vier auf fünf,
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