Berndorf 07 - Trotzkis Narr
weiter, bis er zu dem zweiten Ausgang kommt und die Tiefgarage über das Treppenhaus verlassen kann. Im Foyer herrscht abendlicher Betrieb, Hotelgäste checken ein, zwei Mädchen in einer Art Stewardessen-Uniformen dirigieren Anzugträger zu den weiter entfernt liegenden Konferenzräumen irgendeines halbseidenen Finanzdienstleisters, nirgends ein Mann mit weißblonden, in der Mitte gescheitelten Haaren. Inzwischen ist auch die Staatsanwältin im Foyer eingetroffen und wird von ihren Bodyguards zum Reuter-Forum geleitet. Dabei ist schon wieder diese andere Frau …
Der Mann beobachtet die Gruppe aus einigem Abstand und behält zugleich das weitere Umfeld im Auge. Ein Angriff ist jetzt fast nicht möglich, denkt er, aber Harlass ist eben kein Profi, er ist nicht berechenbar, so wenig wie ein Verrückter, das hat man von Anfang an nicht bedacht. Ein aufgeregter bebrillter Herr schiebt sich ihm in den Weg, der auf ein Pärchen einredet und es in Richtung der anderen Konferenzräume dirigiert, der Mann macht einen raschen Schritt zur Seite und geht an der Gruppe vorbei, aus den Augenwinkeln wirft er einen Blick auf das Pärchen – ein glatzköpfiger Kerl, der seine Freundin eingehakt hält, die Freundin hat einen Rotschopf wie eine Karotten-Prinzessin aus einem Kinderfilm.
Mit ihrem Gefolge hat die Staatsanwältin den Eingang des Reuter-Forums erreicht, dünner Beifall klatscht sich durch den Saal, auch der Mann folgt ihr, bis er das Publikum überblicken kann. Die Besucher sitzen an gedeckten Tischen, da fällt es nicht auf, dass es nicht so sehr viele sind. Er sieht mehr als genug weißes und gefärbtes blondes Haar, aber nicht das, was er sucht. Weiter vorne wird die Staatsanwältin von einer bebrillten Frau begrüßt, der die grauen Haare so gleichmäßig am Kopf herunterhängen, als habe der Friseur ihr einen Topf aufgesetzt und alles weggeschnitten, was drunter zum Vorschein kam. Der Mann setzt sich kurz an einen der hinteren Tische, wo sonst noch niemand Platz genommen hat, er ist etwas ratlos, ihm ist, als ob er irgendetwas übersehen oder sonst einen Fehler gemacht habe. Ein Kellner erscheint und fragt, ob er etwas bestellen wolle, aber er macht nur eine abwehrende Handbewegung.
Die Frau mit der Topf-Frisur hat das Mikrofon ergriffen, das will sich der Mann aber nicht anhören, er verlässt das Reuter-Forum und kehrt ins Foyer zurück. Er überlegt kurz. Wenn heute Abend noch etwas passieren soll, dann wird es gegen Ende der Veranstaltung sein, also nicht vor 21 Uhr. Er fühlt sich müde, aber im Foyer gibt es eine Café-Bar, und so bestellt er sich dort einen doppelten Espresso und zieht sich damit in die Lounge zurück, hängt seinen Mantel an einen Kleiderhaken und versinkt in einen tiefen Clubsessel. Sein Kopf sinkt zurück, für einen Moment schließt er die Augen und ist schon dabei, in richtigen Schlaf zu kippen, als er sich gerade noch einmal aufrafft und sich zwingt, die Augen wieder zu öffnen. Er kann sich jetzt keinen Schlaf leisten. Er trinkt vorsichtig einen Schluck Espresso, das hilft ein wenig, so gut es eben einem Mann helfen kann, dem nahezu eine komplette Nachtruhe fehlt, und stellt das Tässchen wieder auf dem niedrigen Glastisch ab, der vor dem Sessel steht. Auf dem Glastisch liegt ein Flyer, und um irgendetwas zu haben, an dem sich die Augen wachhalten können, nimmt er den Flyer, ein Literarischer Abend im Kongresszentrum wird darin angekündigt, der erst in diesem Herbst entdeckte Schriftsteller und Dichter Wolfsrach liest im Blauen Salon aus einem Roman »Abikarib« … Der Mann hat noch nie etwas davon gehört und schlägt den Flyer auf, das Bild eines glatzköpfigen, noch jungen Mannes blickt ihm entgegen, ach ja, denkt der Mann und schaut auf das Datum der Veranstaltung, die Dichterlesung findet eben jetzt statt, also war das vorhin … Er runzelt die Stirn, wieder hat er das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, aber er kann den Gedanken nicht aufgreifen, denn im Foyer bricht Unruhe auf, mit einem Satz ist der Mann auf den Beinen und läuft aus der Lounge, die Hand unterm Sakko am Schulterhalfter.
Ein mittelgroßer, noch junger Mann, glatzköpfig, mit gerötetem Gesicht, steht schwankend auf dem spiegelnd glänzenden Marmorboden des Foyers und versucht, den Hoteldetektiv abzuwehren, der ihn am Arm packen will. Das ist nicht so einfach, der junge Mann wehrt sich auf die verzögerte, aber kaum berechenbare Weise des schwer Betrunkenen, trotzdem bekommt ihn der Detektiv in den
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