Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Morgen, als ich Sie angerufen habe, war ich noch durch den Wind. Anders kann man es nicht nennen.« Die Ampel springt auf Grün, und die Staatsanwältin fährt so zügig an, dass Karen einen Blick nach hinten wirft. Kommt die Eskorte überhaupt nach? Aber deren Scheinwerfer sind schon wieder dicht hinter ihnen. »Inzwischen sehe ich es anders«, fährt sie fort. »Von Anfang an hätte ich mit so etwas rechnen müssen. Von dem Augenblick an, als mein Name zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Kandidatensuche genannt wurde, waren sie in den Hinterzimmern dabei, mir einen Fallstrick zu drehen. Deshalb hätte ich nicht überrascht sein dürfen. Dass ich es trotzdem war, ärgert mich. Sonst bin ich dankbar.«
»Dankbar?«
»Ja.« Kurz und schmallippig kommt das. »Ich bin dankbar, weil die Gegenseite damit gezeigt hat, wie schwach und verwundbar sie ihre eigene Situation einschätzt … Moment!« Das Display des Autotelefons leuchtet grün auf, und die Staatsanwältin drückt auf die Freisprechanlage.
»Stukkart hier«, ertönt eine Stimme, die sehr nah klingt. »Dagmar, ich habe gerade von diesem unglaublichen Foulspiel gehört, das sich der Senat dir gegenüber geleistet hat – du gibst hoffentlich nicht auf?«
»Du kennst mich doch«, sagt die Staatsanwältin.
»Das zu hören beruhigt mich«, kommt es aus dem Autotelefon. »Ich habe inzwischen ein paar Anrufe getätigt, um die Kriegskasse ein wenig aufzufüllen … Das Ergebnis sieht nicht schlecht aus, wie ich in aller Bescheidenheit bemerken darf.«
»Danke«, sagt die Staatsanwältin.
»Bitte. Ist zufällig deine Chronistin bei dir, Frau Andermatt?«
Die Staatsanwältin wirft einen aufmunternden Blick zur Seite.
»Ja«, sagt Karen, »hier! Oder wie hat man sich zu melden?«
»Ich wollte nur einen kurzen Bescheid geben«, sagt die Stimme, die wieder sehr nah ist und plötzlich einen heiseren Anklang hat. »Regnier Berlin hat sich entschieden, die Arbeit des Tauchclubs Spree-Otter Berlin aus Anlass einer Sonderübung mit Zehntausend zu unterstützen. Ist das dann okay?«
»Danke, Carsten«, sagt Karen, »das ist dann okay, wirklich und definitiv.«
Stukkart wünscht noch einen durchschlagend erfolgreichen Abend, und das Gespräch ist beendet. »Was war das?«, fragt die Staatsanwältin und setzt den Blinker, weil sie in die Tiefgarage des Kongresszentrums einbiegen will.
»Das? Das waren gerade die Reinigungskosten.«
E s ist 19.39 Uhr. Der Mann hat an einem Pfeiler Stellung bezogen, der schräg gegenüber den beiden reservierten Stellplätzen liegt. Im trüben Funzellicht der Tiefgarage schimmert Blechrücken an Blechrücken, eine bessere Tarnung für einen Schatten, der sich heranschleichen will, gibt es nicht. Aber wenn die Limousine der Staatsanwältin einparkt, dann muss der Schatten aus der Deckung heraus und muss sehen, wie er die Wohlfrom-Kühn ins Schussfeld bekommt. Das muss schnell gehen, noch bevor die Bodyguards den Schatten entdecken, den Schatten mit den weißblonden Haaren.
Ein Wagen kommt die Einfahrt herunter, der Fahrer zieht ein Parkticket, der Mann kann das Nummernschild nicht erkennen, weil die Scheinwerfer aufgeblendet sind, das kann die Staatsanwältin nicht sein – was immer sie sein mag, eine Idiotin ist sie nicht. Auch müsste ein zweites Fahrzeug folgen, doch der Idiot ist allein und fährt auch an den reservierten Parkplätzen vorbei. Wieder schaut der Mann auf die Uhr, es ist 19.42 Uhr, wieder ein Fahrzeug, gleich darauf ein zweites, und beide biegen auch richtig auf die reservierten Plätze ein. Der Mann nimmt die Pistole hoch, die linke Hand auf das Handgelenk der rechten aufgelegt, aus den Augenwinkeln sieht er links einen Schatten, einen Schatten mit weißlich-blondem Haar, der gerade am Heck eines Geländewagens sichtbar wird, der Mann wirbelt nach links.
Es ist ein altes Männchen, nach vorne gebeugt, das mit einem Stock in der Hand zum Lift tapert. Der Mann lässt die Waffe wieder sinken und atmet kurz durch. Dann blickt er sich um, die Bodyguards haben ihren Wagen verlassen, irgendetwas gefällt ihnen nicht, einer von ihnen macht eine Bewegung, als solle die Staatsanwältin noch in ihrem Wagen bleiben, endlich begreift der Mann, dass er es ist, der Mann am Pfeiler, der den Bodyguards nicht gefällt …
»Alles okay, Kollegen«, ruft er, steckt die Pistole ins Schulterhalfter und tritt auf die Fahrbahn hinaus, mit seinem Dienstausweis in der hochgehaltenen Hand. Ohne weitere Erklärung geht er die Fahrbahn
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