Berndorf 07 - Trotzkis Narr
drückt nicht zu, seine Finger legen sich nur um die Kehle. In seinen Händen spürt er das Erschrecken und wie der ganze magere Körper plötzlich starr wird vor Angst.
»Ich hab dir doch gesagt, es passiert dir nichts.« Fast spielerisch tastet er mit den Fingern den Hals ab. »Aber du musst ganz ruhig bleiben, nicht schreien und auch ganz ruhig antworten, wenn ich dich was frag. Hast du verstanden?«
Die Frau bringt ein gepresstes »Ja« heraus. »Ich habe Sie verstanden. Ich werde ganz ruhig bleiben. Bei allem.«
»Na schön«, sagt er und löst die Hände von ihrem Hals. »Bist du mit dem Auto hier?«
Ja, sie hat ein Auto, ein Peugeot-Coupé, Frankfurter Nummer, Stellplatz 317 in der Tiefgarage, die Schlüssel sind im Safe, es ist auch eine Brieftasche mit etwas über tausend Euro darin und die Scheckkarte, die Scheckkarte hat dieselbe Code-Nummer wie der Safe, 4135 …
»Brav«, sagt Harlass, als er Brieftasche und Fahrzeugschlüssel gefunden und sich ihren Führerschein angesehen hat. »Du bist also die Claudia. Ein Tausender ist das aber nicht mehr, Mädchen, da hast du dich vertan …«
»Aber auf dem Konto ist doch …«, sagt Claudia, und Harlass, der sich gerade die Scheine aus ihrer Brieftasche einsteckt, hält in der Bewegung inne.
»Ach so«, sagt er, »ich soll mich an den Automaten hinstellen, ja? Dass man dabei ein Foto von mir macht?« Er steckt sich die Scheine zusammengefaltet in die Gesäßtasche und ist mit einem raschen Schritt bei ihr. »Hast du dir das so gedacht?«
»Nein, ich habe nur …«
Er ohrfeigt sie, mit zwei kurzen harten Schlägen, dass es ihren Kopf erst nach links, dann nach rechts wirft.
»Du wirst mir nicht noch einmal widersprechen, kein einziges Mal. Hast du das?«
»Ja«, sagt Claudia, »ich werde Ihnen nicht widersprechen. Kein einziges Mal.« Ihre Lippe zuckt, denn sie spürt das Blut, das ihr aus der Nase läuft. Harlass beobachtet sie aus schmalen Augen, er könnte sie jetzt losbinden, geht es ihm durch den Kopf, und ihr befehlen, sich auszuziehen – sie würde es tun, auf der Stelle würde sie es tun und sich auf das Bett legen und die Beine breit machen.
Das wäre das eine. Und das andere? Er steht auf, geht in das Bad, nimmt ein Handtuch und feuchtet es unterm kalten Wasser an. Dann geht er zurück und legt ihr das nasskalte Handtuch auf Nase und Wange. Sie wirft ihm einen Blick zu, als wollte sie Danke sagen.
»Kommt heute Abend jemand hierher? Einer, der dich bumsen soll?«
»Nein«, kommt es unter dem Handtuch hervor. »Ich muss jemand …« Sie bricht ab, denn Harlass hat drohend die Augenbrauen hochgezogen.
»Was du musst«, sagt er und beugt sich über sie, dass er ihr ganz tief in die Augen sehen kann, »was du heute noch musst, das weiß nur ich … Also, was hast du mir sagen wollen?«
»Die Veranstaltung heute, unten im Blauen Salon, ein Schriftsteller soll aus seinem Buch vorlesen … ich bin seine Agentin … ich sollte ihn abholen.«
»Eine Agentin, wow! Hab ich mir anders vorgestellt, weißt du? Und was für ein Buch ist das?«
Sie versucht eine Kopfbewegung, die nach hinten zeigen soll. »Auf dem Schreibtisch …«
Harlass nimmt das Handtuch von ihrem Gesicht und wischt das angetrocknete Blut ab, die Blutung selbst scheint aufgehört zu haben. Dann wirft er das Handtuch zur Seite und sieht sich auf dem Schreibtisch um. Das einzige Buch dort ist ein schmaler Band mit gelbem Umschlag, das heißt, das Umschlagbild ist nicht einfach gelb, sondern wie ein Brett von Sand, in das zwei Namen gekritzelt sind: »Wolfsrach: Abikarib«. Er nimmt das Buch und entdeckt auf der Innenseite des Schutzumschlags das Foto eines glatzköpfigen Mannes, der aber irgendwie harmlos, fast freundlich in die Kamera schaut. Für einen Augenblick ist ihm, als sei in seinem Kopf der Funke einer Idee übergesprungen, dann schlägt er das Buch auf und beginnt zu lesen …
»Eine rechteckige Tafel, 17 auf 36,5 Zentimeter, aus gelblichem Alabaster. Sie stellt ein Gesicht dar. Oben sind in den Alabaster die großen rautenförmigen Augen eingegraben; die Augen sind nicht geschlossen, denn ich sehe in der Mitte einer jeden Raute einen Punkt, die Pupille. Unter den Augen, in halber Höhe der Tafel, etwas nach oben versetzt, der Mund – es ist ein sprechender Mund, denn er ist zugleich und vor allem eine Inschrift, lautlos und unüberhörbar entspringt dieser Inschrift, die zugleich das rechteckige Gehege seiner Zähne bildet, sein Name Abikarib …«
Harlass lässt
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