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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Griff, der junge Mann will protestieren, aber so sehr sich Zunge und Lippen und Kiefer auch abmühen – aus dem Mund kommen nur gurgelnde, keuchende pfeifende Geräusche, bis schließlich ein einziges vernehmliches Wort herausbricht:
    »Lesen!«
    Und plötzlich begreift der Mann.
    D er Saal ist abgedunkelt, nur er selbst sitzt da im Licht, an seinem Tisch auf dem Podium, das angestrahlt ist wie ein Box-Ring. Vor ihm hocken zwei oder drei Dutzend Leute auf ihren gepolsterten samtblauen Stühlchen, links vorne hat Karotten-Claudia Platz genommen, hoffentlich wird sie nicht vergessen, was gut für sie ist. Was ihr kein Loch in die Karotte macht.
    Neben ihr der Brillenmensch, der zuerst geredet hat. Vom Sprechen hat er geredet oder was ist, wenn das einer nicht kann. Dabei kann er es selber nicht richtig, sondern speichelt jeden ein, der vor ihm steht. Dazu hat er immer wieder zu ihm hergeschaut, als ob er das sei: der, der nicht reden kann. Trotzdem ist jetzt er dran, vor all diesen Leuten: er, Lutz Harlass. Warum geht er nicht einfach?
    Weil draußen jede Menge Bullerei herumsteht. Vorhin waren es mindestens drei oder vier Stück davon, er hätte richtig Stress gehabt, wäre nicht der Brillenmensch mit der feuchten Aussprache dagestanden und hätte ihn vollgelabert. Was jetzt?
    Die Dunkelheit geht nicht. Er muss sehen, wer da alles hockt. Oder wer dazukommt.
    »Machen Sie das Deckenlicht an. So kann ich nicht lesen.«
    Beflissen springt der Brillenmensch auf und rennt zur Tür, dann gehen eine nach der anderen die Deckenlampen an, das ist schon besser, grob gezählt sind es sogar gut dreißig Leute, die da sitzen und etwas hören wollen, von ihm wollen sie das hören, wie er aus dem Buch da vorliest, diese Sätze, von denen vielleicht er etwas verstehen kann, aber ganz bestimmt nicht der Brillenmensch und auch nicht die Karottenfrau und auch keiner von diesen Leuten hier … Er schlägt das Buch an der Stelle auf, wo er vorhin eine Seite eingekniffen hat, und will vorlesen, aber irgendetwas ist mit seiner Stimme, als ob er keinen Atem hätte. Er sieht um sich, auf dem Pult steht eine Flasche Mineralwasser und ein Glas bereit, er gießt sich das Glas voll und trinkt erst einen Schluck, und die Leute sehen ihm dabei zu, als ob sie dafür bezahlt hätten, einen Menschen wie ihn ein Glas Wasser trinken zu sehen, er fährt sich über den Kopf, es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn da gar nichts mehr ist außer schlecht ausrasierten Stoppeln. Er nimmt das Buch wieder auf.
    »Die Worte«, so beginnt er, muss sich räuspern und setzt noch einmal an, »die Worte sind der Spiegel der Welt, und schon darum sind sie falsch …« Er liest holprig, stockend und verspricht sich, hat er jetzt falsch gesagt oder flasch ? Schon in der Schule hat er es gehasst, vorlesen zu müssen, und gerade darum haben sie immer ihn vorlesen lassen, damit die anderen Kinder etwas zu lachen hatten. Aber das ist jetzt alles egal, er wird den Leuten die Worte vor die Füße spucken, etwas anderes kann er gerade nicht tun, er kann nicht die ganze Zeit unten im Treppenhaus vor dem Eingang zur Tiefgarage warten.
    »… Denn ein Spiegel zeigt mir nicht mein Gesicht, sondern ein Verkehrtes … und ebenso benennen die Worte nur Verkehrtes und sagen, was nicht ist. Und wenn sie aus Versehen oder aus Heimtücke einmal etwas treffen, was wahr ist, dann machen die Worte die Wahrheit zur Lüge, allein durch das Benennen …« Wieder ist ein Wort in fetten schwarzen Buchstaben geschrieben, diesmal das »wahr«, hätte er das jetzt lauter vorlesen sollen? Er nimmt noch einmal einen Schluck Wasser, dann blättert er zwei Seiten weiter, da steht etwas, das ihm schon vorhin aufgefallen ist:
    »Das Böse ist das Nicht-Sprechen-Können. So habe ich es gelernt. Böse ist das Kind, das nicht Danke sagen kann. Das zwar die Lippen formt und die Kiefer verrenkt, das aber dennoch nichts herausbringt, keinen Ton, nur Gurgeln und Grunzen und Keuchen, weil das Wort Danke ihm wie ein Pfropfen im Rachen sitzt … « Er blickt kurz auf, denn hinten im Saal hat sich eine Tür geöffnet, ein Besucher tritt ein, in der eingezogenen Haltung der zu spät Kommenden, Harlass tastet nach dem Griff der Pistole, die ihm im Hosenbund steckt, und liest weiter. »… damit die anderen Wörter nicht herauskommen, diese anderen Wörter, die keine Erwachsenenwörter sind, sondern die Wörter des Kindes, und zwar ganz ungeheuerliche Kindeswörter, unerhört, weil niemand sie zu hören ertragen

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