Berndorf 07 - Trotzkis Narr
links außen sogar, oder war es gewesen, mit der Zeit soll sich das geben. Viele von unserer Generation waren das, so what ? Schrecklich sind doch vor allem die Biographien, in denen alles glatt geht, alles auf perfekte Anpassung hinausläuft.«
»Ach«, widerspricht Ruth, »ich wüsste schon ein paar Punkte, wo man nachfragen könnte. Die ich nicht so ganz verstehe.«
Berndorf, der sich gerade Joghurt in die Frühstücksflocken rührt, sieht aus den Augenwinkeln, dass Christoph mit dem Kopf eine fast unmerkliche, aber deutlich verneinende Bewegung macht, als solle dieses eine Thema nicht vertieft werden. Wovon handelt ein Thema, das nicht vertieft werden soll? Es handelt entweder von Sex, oder es handelt von Geld. Hatte die wildmähnige Ruth mal was mit dem Büchersammler und Gewohnheitsmenschen Giselher?
Sie hörte sich nicht so an. Also muss es das Geld sein, denkt sich Berndorf.
»Er konnte stur sein«, sagt Christoph, »wenn es das ist, was du meinst. Wenn er einen Plan gefasst hatte, dann musste das auch so und nicht anders ausgeführt werden …«
»Der anale Charakter, du verstehst«, ergänzt Ruth, an Berndorf gewandt, und wirft einen leicht genervten Augenaufschlag zur Decke.
»Sicher doch«, fährt Christoph fort, »aber darum war er eben auch absolut zuverlässig und mit einem ausgesprochenen Talent zur Freundschaft begabt.«
»Ach?«, fragt Berndorf, »so etwas ist selten.« Warum sagt er das? Smalltalk eben. Nein: Von dem Freund war gestern schon die Rede oder heute Nacht, und er hat nicht nachgefragt. Darum.
»Er meint Brutus«, erklärt Ruth. »Brutus Finklin. Er heißt wirklich so, und wenn man ihn sieht, wirkt er auch überhaupt nicht komisch.«
»Er ist eher Brutus als Finklin«, meint Christoph, »und wenn der globalisierte Kapitalismus eines Tages die ganze Welt mit seinen klebrigen Fäden eingesponnen hat …«
»… dann wird Brutus in seiner Datsche im Westhavelland noch immer die rote Fahne der Weltrevolution hinterm Schreibtisch stehen haben!«, vollendet Ruth den Satz und hebt dazu die geballte rechte Faust.
E ine Penthouse-Wohnung, unaufgeregt modern eingerichtet, mit einem Anflug von italienischem Design, der Blick aus dem Esszimmer geht hinüber zum Gendarmenmarkt. Karen beglückwünscht die Gastgeber zu dieser Aussicht und entschuldigt ihren Mann – Stefan sei untröstlich, er wäre sehr gerne der Einladung gefolgt, müsse sich aber auf eine geschäftliche Auslandsreise vorbereiten. Auch die Gastgeber bedauern das sehr, man setzt sich zu Tisch, Karen bekommt den Platz mit der Fenstersicht. Das Gespräch ist auf wohlerzogene Weise ungezwungen, und auch den Brunch haben die Gastgeber mit zwangloser Selbstverständlichkeit arrangiert. Karens Blick fällt auf ein großformatiges gerahmtes Foto über der Anrichte, das Foto zeigt das streng-nüchterne Kirchenschiff der Klosterkirche Chorin, und das gibt der Gastgeberin Dagmar Wohlfrom-Kühn das Stichwort, ihren Mann behutsam etwas mehr ins Gespräch einzubeziehen.
Professor Eberhard Wohlfrom, emeritierter Historiker und Mediävist, erzählt denn auch bereitwillig von den Askaniern oder genauer: von deren brandenburgischer Linie und von dem Kloster, das von ihnen gefördert wurde, vom Tod des letzten brandenburgischen Askaniers im Jahr 1320 und von den Wechselfällen danach. »Dieses Gotteshaus«, sagt Wohlfrom und deutet auf die Fotografie, »ist gerade deshalb eine Kostbarkeit, weil seine Architektur bescheiden bleibt, weil sie eben nicht triumphieren will … Nur dürfen Sie sich keine Illusionen machen. Die Klosterleute waren darum keine besseren Menschen. Sie waren ausgemachte Wendehälse avant la lettre und segneten auf Teufel komm raus, wen immer sie gerade für den Stärkeren hielten. Bei Fontane können Sie einiges darüber nachlesen. Was haben Sie?«
Natürlich, denkt Karen. Die Wanderungen in der Mark Brandenburg. Sandhase, ick hör dir trapsen! »Entschuldigen Sie bitte«, sagt sie rasch, »aber mir ist gestern ein Zitat untergekommen, eine Stelle über Lindow und Gransee, und ich wusste nicht, woher es stammt … Als Sie gerade von Fontane sprachen, fiel es mir wieder ein.«
»Freut mich«, sagt Professor Wohlfrom, will dann aber nicht weiter über die Askanier und die Äbte von Chorin reden, sondern bittet darum, sich an seinen Schreibtisch zurückziehen zu dürfen, und wird auch gnädig entlassen. Dann sitzen beide Frauen einander gegenüber, und Karen bemerkt, dass ihre liebenswürdige Gastgeberin sie gerade
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