Berndorf 07 - Trotzkis Narr
einer sehr genauen Musterung unterzieht. Sie gibt den Blick zurück, die Augenbrauen ganz leicht angehoben: Schau mich ruhig an, heißt das, ich hab nichts zu verbergen, im Übrigen will ich nichts von dir, aber du willst was von mir …
»Also!«, sagt Staatsanwältin Dagmar Wohlfrom-Kühn, die offenbar zu einem Entschluss gekommen ist, »dass ich einen Anschlag auf Sie vorhabe, wissen Sie ja bereits. Aber was heißt Anschlag? Sie brauchen nur Nein zu sagen, und wir trinken freundschaftlich miteinander Tee …«
Falls du einen Ghostwriter suchst, bist du an der falschen Adresse, denkt Karen und nickt, freundlich, aber reserviert.
»Es ist gar nicht so lange her, da wollte ich ein Buch schreiben«, fährt die Staatsanwältin fort. »Ein Buch über meine Ideen, meine Erfahrungen. Und meine Motive, das zu tun, was ich so vorhabe. Inzwischen weiß ich, dass das nicht geht. Dieses Buch kann ich und will ich nicht schreiben.«
»Dass Sie es allein aus zeitlichen Gründen nicht können, verstehe ich sehr gut«, wirft Karen ein, die keine Lust mehr hat, wie ein Schulmädchen dazusitzen und zuzuhören. »Aber warum wollen Sie es nicht?«
»Wenn ich vor Gericht plädieren muss, dann halte ich ein Plädoyer. Lädt man mich zu einem Vortrag ein, wie zum Beispiel vor ein paar Tagen, dann halte ich einen Vortrag. Aber daraus kann man kein Buch machen. Keines, das ich lesen wollte.« Sie schüttelt sich. »Wirklich nicht. Ein Buch müsste …« Sie unterbricht sich, beide Hände etwas erhoben, als wolle sie mit ihnen in der Luft die passenden Worte formen: »… es müsste anschaulich machen, wie ich an die Dinge herangehe. Wie ich die Welt sehe. Wie ich bin – jetzt ist es heraus! Und das kann ich nicht selber. Es müsste jemand tun, der durchaus auch Distanz zu mir hat …« Wieder wirft sie einen dieser prüfenden Blicke über den Tisch. »Was ich suche, ist also – um Himmels willen! – keinen Ghostwriter, sondern eine unabhängige Autorin, die mich eine Zeit lang begleitet und die – das ist mir ganz wichtig – auf eigene Verantwortung darüber schreibt, was sie sieht.«
Sie beugt sich über den Tisch und greift mit einem fragenden Blick nach der Teekanne, aber Karen lehnt dankend ab. »Wenn ich das richtig verstanden habe«, sagt sie zögernd, als müsse sie sich erst an ihre Frage herantasten, »dann stehen Sie vor einem Wechsel in die Politik. Ich bin keine politische Journalistin …«
»Wenn Sie das wären, hätte ich Sie nicht angesprochen. Politische Journalisten sind selbst Teil jener classe politique , von der ich mich nicht einbeziehen lassen will. Um keinen Preis! … Übrigens habe ich mir erlaubt, im Internet nachzulesen, was dort von Ihnen zu finden ist – Sie schreiben über den Alltag, über Dinge und Menschen, an denen eben nichts Besonderes ist … Und das ist genau das, was ich suche. Ich will gesehen und beschrieben werden als jemand, der aus dem Alltag kommt. Und der dem Alltag zugehört.«
Noch nicht richtig in der Politik angekommen, denkt Karen, und schon will man sein, was alle Politiker sein wollen: ein Mensch wie du und ich. »Das wird schwierig«, sagt sie. »Sie kommen eben nicht aus dem Alltag. Sie sind Leitende Staatsanwältin, manche Zeitungen nennen Sie die Staatsanwältin Gnadenlos …«
»Und jedes Mal regt mich das auf«, unterbricht die Wohlfrom-Kühn. »Es regt mich auf, weil es ein gnadenlos dummes Klischee ist!«
»Und es wäre also meine Aufgabe, mit diesem Klischee aufzuräumen?«, fragt Karen.
»Nein!«, ruft die Staatsanwältin aus. »Das wäre wirklich zu viel verlangt. Vergessen Sie die Klischees, begleiten Sie mich einfach, wie eine Fotografin, die Momentaufnahmen macht, short cuts , und diese Miniaturen sollen weniger mich zeigen als die Stadt und die Milieus, in denen ich mich bewege – und in die ich natürlich auch ein wenig Bewegung zu bringen hoffe …«
Ein Telefon schlägt an, Dagmar Wohlfrom-Kühn steht seufzend auf, bittet um Entschuldigung und geht zu dem kleinen Sideboard, auf dem das Telefon steht, nimmt den Hörer und meldet sich mit einem knappen »Ja.«
Karen blickt ihr nach. Es ist, als habe das bloße Klingeln des Telefons die Atmosphäre in dem großbürgerlichen Frühstückszimmer verändert. Die Frau, der am Telefon berichtet wird, ist nicht mehr die charmante Gastgeberin Dagmar Wohlfrom-Kühn, sondern im Zimmer steht die Leitende Staatsanwältin DWK, sehr wach, sehr gegenwärtig.
»Beschreiben Sie mir die Fahrtroute«, sagt die
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