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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Staatsanwältin plötzlich, klemmt den Hörer mit der Schulter fest und greift sich den Notizblock, der samt Stift auf dem Sideboard bereitliegt. Sie notiert sich einige Stichworte, unterbricht dann aber den Gesprächspartner, »das hat so keinen Sinn, schicken Sie einen Wagen zu diesem Waldparkplatz, der soll mich dann dorthin bringen.« Sie legt auf und wendet sich Karen zu. Sie betrachtet sie, abwägend, unverhohlen prüfend.
    »Haben Sie schon mal einen Mord gesehen? Ich meine: einen Mord im richtigen Leben? Mit einem Mann, dem man durch den Kopf geschossen hat?«
    U nte r den kahlen Bäumen ist es kühl und feucht. Das Gelände rund um den Unterstand ist abgesperrt, Männer in Overalls durchsuchen das Unterholz, immer wieder zuckt das Blitzlicht eines Fotografen auf. Was fotografiert der da? Schleifspuren? Wovon? Wovon wohl! Die Atmosphäre wirkt auf eine unwirkliche Weise geschäftsmäßig, aber doch auch angespannt und bedrückt. Handelt es sich hier, so überlegt Karen, um einen besonderen Mord? Der Tote war Polizeihauptkommissar, das weiß man schon. Handelt es sich also um ein Verbrechen, das jeden Polizisten ganz persönlich betrifft? Oder sind Polizisten so geschult, dass sie hier keinen Unterschied machen?
    Oder ist es noch einmal anders, und bei der Anspannung, die sie spürt, handelt es sich in Wahrheit um ihre eigene? Sie hat sich den Toten angesehen, und was hat sie dabei empfunden? Nichts, und darüber erschrickt sie. Warum eigentlich? Diesem Mann war ins Gesicht und durch das Auge geschossen worden, und so etwas zu tun, das ist so ungeheuerlich, dass das Wort ungeheuerlich gar nicht ausreicht. Aber jedes Töten ist ungeheuerlich. Der Tod, oder genauer: der Eintritt des Todes hingegen ist es nicht. Der Tod wischt das Leben aus, auf eine Weise, vor der Empfindungen wie Empathie oder Mitleid verstummen, weil keiner mehr da ist, dem es gelten könnte. Schauder hat sie nur einen Augenblick lang empfunden. Das war, als der große Jutesack zusammengefaltet wurde, mit dem der Tote notdürftig zugedeckt gewesen war. Es kam ihr vor, als sei der Anblick des Toten für den Mörder so unerträglich gewesen, dass er ihn mit allem unterdrücken musste, was gerade zur Hand war, und dieses Unerträgliche sei nun an dem Kartoffelsack hängen geblieben.
    Am Waldparkplatz waren sie von einem Streifenwagen abgeholt worden, der sie über eine holprige Waldstraße hierherbrachte. Vermutlich ist die Straße noch von DDR -Grenzern angelegt worden, meinte der Fahrer, bald wird der Wald sie sich zurückgeholt haben. Schließlich waren sie bei diesem Unterstand angekommen, und seither hatte sich Karen ein oder zwei Schritte hinter der Staatsanwältin gehalten, als wäre sie eine Referendarin, und niemand hatte einen Ausweis von ihr sehen wollen oder sich sonst nach dem Grund ihrer Anwesenheit erkundigt.
    Ein schmaler, knapp mittelgroßer Mann steht bei Dagmar Wohlfrom-Kühn. Das schon schüttere Haar nach hinten gekämmt, aufmerksame dunkle Augen, die kurz auch auf Karen ruhen. Die Staatsanwältin bemerkt es und stellt ihn ihr vor, der Mann ist Kriminalhauptkommissar Keith.
    »Regulski ist vermutlich schon gestern Abend erschossen worden, aus …«
    »Aus sehr kurzer Entfernung«, fällt ihm die Staatsanwältin ins Wort, »das hat sich mir bereits mitgeteilt, es ist also der gleiche Tatablauf wie bei diesem unglücklichen Senatsangestellten vorgestern … Können Sie etwas über das Kaliber sagen?«
    »Wir haben Glassplitter neben den Fahrspuren gefunden, das heißt …«
    »Dass Regulski in seinem Wagen erschossen wurde und das Geschoss die Seitenscheibe durchschlagen hat«, ergänzt die Staatsanwältin. »So weit kann ich folgen. Was wissen Sie über die Waffe?«
    »Das Geschoss haben wir bisher nicht gefunden«, antwortet Keith, »und die Hülse wird in den Wagen ausgeworfen worden sein. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es sich um ein Neun-Millimeter-Kaliber gehandelt hat.«
    »Also wie im Fall Marcks. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie beunruhigend das ist. Wie weit sind Sie denn in der Fahndung nach diesem Lutz Harlass?«
    »Bisher sind keine Hinweise eingegangen. Wir können nicht ausschließen, dass er in der Neonazi-Szene untergetaucht ist.«
    »Was weiß der Staatsschutz?«
    Keith versucht ein lustloses Lachen. »Sie wissen, dass man dort nur ungern Informationen herausgibt. Immerhin habe ich wenigstens eine Auskunft bekommen. Harlass hat sich danach bemüht, in die Kameradschaft Neukölln aufgenommen zu werden.

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