Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
von einem soziologischen Interesse war. Eine Gesellschaft definiert sich bekanntlich auch dadurch, was sie für anstößig hält und was nicht.«
    »Außerdem«, erklärt Ruth, »war er Trotzkist. Hat als junger Mann zu irgendeiner Vierten oder Siebenundzwanzigsten Internationale gehört, die spalten sich ja ständig, und zuletzt war er wohl ziemlich allein, von einem einzigen Freund abgesehen – und, natürlich, von Anneliese, da fällt mir was ein …«
    »Was das Land Berlin nicht daran gehindert hat«, wirft Rautek ein, »den Radikalenerlass auf ihn anzuwenden. Irgendwann hat er dann doch diesen Job bekommen, ausgerechnet auch noch in der Personalverwaltung, aber Beamter wurde er nicht.«
    Berndorf wendet sich an Ruth. »Sie sagten, Ihnen sei etwas eingefallen?«
    Sie zieht eine Grimasse, als wolle sie einen unangenehmen Gedanken loswerden. »Ich frage mich gerade, wer sich um Anneliese kümmert, das ist – das war seine Freundin … das alles muss ein furchtbarer Schlag für sie sein, aber es wird keinen Sinn haben, dass ich sie anrufe – sie kann mich nicht leiden.«
    Ihr Mann widerspricht, das sehe sie falsch, und Berndorf meint, dass Ruth das jedenfalls nicht noch heute Abend tun solle. »Zuletzt war die Polizei bei ihr, und vielleicht ist sie das noch immer.«
    »Ach!«, sagt Rautek, »Polizei! Komisch. Wenn ich Sie so anschaue – also, Sie könnten direkt auch von dieser Firma sein.«
    A us der Feuerluke fällt flackerndes Licht auf Lederjacke und Jeans, die um den Kanonenofen herum zum Trocknen aufgehängt sind, und lässt sie merkwürdige Schatten werfen. Harlass liegt auf der Pferdedecke, die er auf der Matratze ausgebreitet hat, selbst in Unterhose und T-Shirt ist es ihm mehr als warm genug. Im Licht der Stablampe versucht er durchzusehen, was er in Regulskis Aktentasche gefunden hat, aber in dem Leitz-Ordner ist nichts als Juristenscheiße abgeheftet. Urteile. Klageschriften. Und dazu Gekritzel. Handschriftliche Anmerkungen. Unterstreichungen. Ausrufezeichen. Fragezeichen.
    Was geht ihn das an? Das sind Regulskis Fragezeichen. Die will er nicht geschenkt haben. Oder geerbt. Doch in seinem Hinterkopf meldet sich die nörgelnde Stimme. Wohl geht dich das was an, sagt die Stimme. Es sind Regulskis Fragezeichen, die dich hierhergebracht haben. Dem hat was nicht gepasst. Ihm oder dem anderen Kerl, dem, der am Donnerstag hinten saß. Und das Wort geführt hat. Einem von beiden hat was nicht gepasst. Nur darum hast du diesen Job machen sollen. Willst du nicht wissen, was Sache ist? Doch? Dann finde heraus, was dem nicht gepasst hat. Warum der einen gesucht hat, der ihm die Drecksarbeit macht. Und warum ihm die ganze Kiste plötzlich so heiß geworden ist, dass er sich einen Jutesack und Backsteine ins Auto hat packen müssen.
    Schon gut, denkt Harlass. Morgen. Bei Tageslicht. Oder übermorgen. Erst mal müssen die Klamotten trocken werden. Er steckt den Leitz-Ordner zurück in die Aktentasche und holt sich die Broschüre heraus. Was heißt hier Broschüre? Das sind ein paar Dutzend Seiten Hochglanzpapier, das Ganze kartoniert, »Untersuchung von Bodengrund und Altlasten im Bereich Zehlendorf/Krumme Lanke« steht da, Verfasser ist ein Dipl. Ing. Frieder Plogstett, aber irgendjemand hat mit einem Bleistift einen Kringel um den Namen gezogen und eines von den unzähligen Fragezeichen dahin gemalt, die sich auch in den Akten finden, und unter dem Fragezeichen ist ebenfalls mit Bleistift ein Name samt Adresse notiert:
    Finklin, Brutus, Crammenow, Bauernende 7
    Komischer Name. Und? Harlass muss gähnen. In einem Seitenfach steckt eine Zeitschrift, auf dem Titelbild eine Polizistin mit einem Schäferhund. … Hunde hat er noch nie leiden können. Außerdem braucht er jetzt eine Mütze Schlaf. Er steht auf und geht in die Scheune hinaus, wo er den Opel abgestellt hat, und holt die Decke vom Fahrersitz. Er legt sie einmal zusammen, so, dass die Seite, die über den Fahrersitz und die Rückenlehne gezogen war, innen bleibt. Er wirft noch ein Brikett in den Ofen, dann legt er sich hin und zieht die Decke über sich und ist auch schon eingeschlafen.

Sonntag

D u hast mir das Auge ausgeschlagen, sagt der Hund, weißt du das? Aber noch immer bin ich nicht tot, und das Blut läuft mir aus der Schnauze. Der Hund, der so zu ihm redet, ist der gefleckte Mischling von dem Krüppel, bei dem die Mutter putzen ging, jetzt verliert sie den Job, und du bist schuld …
    Geh weg, schreit Harlass und fährt hoch und weiß nicht,

Weitere Kostenlose Bücher