Berndorf 07 - Trotzkis Narr
und in die verkaterten Augen Berndorfs. Wo, bitte, ist er? Dies hier ist weder sein Zimmer in der Dahlemer Wohnung, noch befindet er sich in der Datsche in Blengow. Eigentlich ist es auch gar kein Zimmer, sondern eine Art Kabinett, aber mit den hohen Wänden einer Berliner Altbauwohnung, und die Wände sind mit Büchern vollgestellt. Außerdem gibt es noch eine Liege, die zu weich ist und schwabbelig. Kopfweh hat er auch, zum Glück steht auf einem Schemel neben der Liege ein Glas Mineralwasser, danke!
Er steckt in einem gestreiften Schlafanzug, der etwas zu weit für ihn ist, also ist es einer von Christophs Pyjamas, jetzt weiß er es wieder – Ruth mit den roten Haaren hat das Teil gestern Abend für ihn herausgesucht, nein, nicht gestern Abend, heute früh hat sie das getan, als Berndorf nach einem Taxi telefonieren wollte und Christoph meinte, er könne doch hier übernachten. Warum hat er das Angebot angenommen? Weil Barbara in den USA ist und er keine Lust hatte, in die leere Wohnung zurückzukehren? Etwas in dieser Art muss es gewesen sein. Auf einem Stuhl liegt ein blauroter Bademantel, er zieht ihn über und geht zur Tür, durch den Flur zieht der Duft eines frisch aufgebrühten Kaffees, das Badezimmer muss irgendwo rechts sein, eine muntere Stimme begrüßt ihn und wünscht einen guten Morgen, »wie hast du geschlafen?«
Berndorf dankt und lügt, das Bett sei ein ganz vorzügliches. Er ist also mit seinen Gastgebern auf Du, wann und wie immer sich das auch ergeben haben mag. Das Bad ist frei, er duscht kalt, das hilft bei solchen Zuständen, eine Viertelstunde später sitzt er zwar unrasiert und mit geröteten Augen, aber doch halbwegs wach an dem mit allerhand Keramikgeschirr gedeckten Frühstückstisch. Das Geschirr sieht so handgemacht aus, wie es der Rotwein von der vergangenen Nacht war, und seine Gastgeber wirken – ganz im Gegensatz zu ihm – so, als habe die etwas aus dem Ruder gelaufene Trauerfeier für den dahingeschiedenen Giselher Marcks ihnen nicht weiter zugesetzt, das heißt, auf den ersten Blick wirken sie so. Als Berndorf genauer hinsieht, bemerkt er, dass zumindest Ruth sich zu der Rolle der heiteren Gastgeberin zwingen muss.
»Offenbar hat die Polizei bereits eine heiße Spur«, fasst Christoph zusammen, was er bisher im Internet gefunden hat, »jedenfalls wird nach einem 26jährigen gefahndet, angeblich ein vorbestrafter Gewalttäter, was immer das heißt – willst du dir die Meldungen ansehen?« Berndorf aber will lieber erst einmal einen Tee trinken, denn den gibt es auch, offenbar war auch das in der Nacht besprochen worden, und löffelt sein Frühstücksei.
»Ich dachte«, fährt Christoph fort, »weil du ja beruflich an dieser Sache dran bist.« Berndorf blickt erschrocken auf. Was um Himmels willen hat er diesen Leuten erzählt? »Ich fürchte«, sagt er zerknirscht, »da hab ich den Mund zu voll genommen. Mich interessiert vor allem jemand anderes, dieser eine Mann, der mit dem Mordfall selbst nichts zu tun hat, wie ich annehme – ich hab wohl davon erzählt?«
»Eigentlich nicht«, meint Ruth, »wir wissen nur, dass du einmal Polizist warst, in der Stadt mit dem großen Kirchturm und den Leuten, die nur auf besondere Weise freundlich sind, und dass du jetzt eine kleine Detektei hast, aber eigentlich hättest du lieber einen Hund, und dass deine Barbara ein Semester in den Staaten verbringt, und dass dir deshalb deine Decke auf den Kopf fällt …«
»Danke«, sagt Berndorf, »das trifft es so ungefähr. Vor allem das mit dem Hund.«
»Ja«, meint Christoph gedehnt, »dafür, dass er dich eigentlich nicht interessiert, scheint dich unser armer Giselher doch sehr zu beschäftigen.«
»Es wäre seltsam, wenn es nach einem solchen Vorfall nicht so wäre«, sucht Berndorf einen Ausweg, »außerdem ist es nicht so, dass er mich nicht interessiert. Ich habe nur der Polizei nicht ins Handwerk zu pfuschen, nichts liegt mir ferner! Nur manchmal – da begegnet man jemandem, oder man stößt auf ein Schicksal, und irgendetwas ist daran, dass man nachfragen möchte, und je mehr man sich damit beschäftigt, desto fremder wird einem dieser Mensch …« Was um Gottes willen redest du da, geht es ihm durch den Kopf.
»Aber …«, wendet Christoph ein, »was ist an Giselher fremd? Er war ein Mensch von unerschütterlichen Gewohnheiten, manche davon kannten wir, andere nicht, also diese Geschichte mit der Sauna-Runde zum Beispiel, die kannten wir nicht. Er war links, ziemlich weit
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