Berndorf 07 - Trotzkis Narr
wurden. Bei einer solchen Waffe denke ich erst mal nicht an Neonazis.«
»Sondern?«
»An die Russen-Mafia.« Jörgass lehnt sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Und wartet. Aber erst einmal sagt niemand etwas.
»Und was denken Sie sonst noch, wenn Sie an die Russen-Mafia denken?«, fragt schließlich die Staatsanwältin.
»Keith hat mich gebeten, mir die finanziellen Verhältnisse von diesem Giselher Marcks genauer anzusehen. Hab ich getan, und ich sage euch jetzt zwei Dinge …« Er hat die Arme wieder gelöst und hebt beide Hände mit ausgestrecktem Zeigefinger hoch: »Erstens würde da selbst die Steuerfahndung keinen Faden abbeißen, und zweitens stimmt trotzdem nichts an dem, wie dieser Mann gelebt hat. Der hat zwar eine kleine Erbschaft gemacht, hat sich davon eine Eigentumswohnung gekauft, muss also keine Miete zahlen, alles soweit plausibel. Aber wenn man die Details betrachtet, was zum Beispiel für eine solche Eigentumswohnung an Nebenkosten anfallen, und dieses Etepetete, mit der sich dieser Mann im Kleinen umgeben hat – dann passt das mit dem Gehalt eines Senatsangestellten nicht zusammen …«
»Und Sie meinen, da hat die Russen-Mafia was zugeschossen?«, unterbricht ihn Dagmar Wohlfrom-Kühn, und diesmal schwingt ein wenig Ironie in der Stimme mit.
»Sehen Sie doch einmal diese Sauna-Runde an«, gibt Jörgass ungerührt zurück, »mit diesen Badegästen aus der Bauverwaltung, zwei davon haben wir ja als Zeugen. Das sind keine rasend prominenten Leute, aber doch schon von dem Kaliber, dass ohne ihren grünen Haken gar nichts geht. Und das sind keine kleinen Beträge, über die dann verfügt wird. Verfügen, das ist das richtige Wort! Und wie es sich fügt, schwitzen da nicht nur irgendwelche Bauräte, da schwitzt auch ein richtiger wichtiger Russe, während draußen einer darauf wartet, mit einer für die Russen-Mafia nicht untypischen Waffe jemandem ein Loch ins frisch saunierte Fell zu brennen …« Er wendet sich direkt an die Staatsanwältin. »Wenn ein Killerkommando aus Thüringen nach Süddeutschland fährt, um in einer Kleinstadt dort eine Polizistin umzubringen und ihr die Dienstwaffe abzunehmen – dann muss man schon von der Bundesanwaltschaft sein, um es für einen Zufall zu halten, dass diese Polizistin ausgerechnet aus der gleichen Thüringer Ecke stammt wie das Killerkommando selbst … Sie sind aber nicht Bundesanwältin in Karlsruhe, sondern Staatsanwältin in Berlin, und Sie wissen so gut wie ich, dass immer mehr russisches Geld in Berlin angelegt wird und dass die russische Mafia mit Macht hier ins Immobiliengeschäft drängt.«
»Es freut mich, dass Sie mich offenbar hier behalten und nicht nach Karlsruhe abgeben wollen«, antwortet die Staatsanwältin, und diesmal klingt die Stimme noch sanfter. »Trotzdem würde ich es vorziehen, dass wir erst einmal den Herrn Harlass finden, bevor wir uns überlegen, wem wir vielleicht Mafia-Kontakte anhängen könnten. Haben wir inzwischen Auskunft von Interpol?«
»Ja, aber nur negative«, sagt Keith und blickt auf. Die Tür zum Besprechungsraum hat sich geöffnet, eine junge uniformierte Polizistin gibt ihm ein Zeichen und bringt ihm den Ausdruck einer E-Mail. Keith liest und gibt den Ausdruck an die Staatsanwältin weiter. Er wartet einen Augenblick, bis auch die Wohlfrom-Kühn den Ausdruck überflogen hat. »Nun ja, Polen können wir vergessen«, sagt er dann. »Jemand, auf den die Beschreibung von Harlass zutrifft, hat heute Morgen in der Potsdamer Bahnhofsgalerie einen elektrischen Rasierapparat gekauft.« Er zeigt mit der Hand auf die Kriminalbeamtin Lena Quist. »Es war die Idee der Kollegin, danach fragen zu lassen.«
»Ach ja?« Die Staatsanwältin fasst Lena Quist ins Auge. »Aber warum ist nun gerade ein Rasierapparat so wichtig für ihn?«
»Er hat seinen alten in der Wohnung gelassen. Und einen Rasierer braucht er, weil er mit einem Dreitagebart eher auffällt und eher kontrolliert wird.«
Die Staatsanwältin hört mit gerunzelter Stirn zu, den Kopf in der Hand aufgestützt, und lässt ihren Blick nachdenklich auf der jungen Beamtin ruhen. Dann steht sie wortlos auf, geht zu der Karte des Großraums Berlin, die an der Wand des Besprechungszimmers aufgezogen ist, nimmt den Zeigestab und tippt fast spielerisch auf die Stationen, die in der einen oder anderen Weise mit dem Fall Harlass verbunden sind. Das ergibt eine Zickzack-Linie, von Berlin nach Nordosten und dann in spitzem Winkel zurück nach Potsdam im
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