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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ist paranoid. Es ist erst ein paar Wochen her, da haben wir eine Niederlassung eröffnet, ein veritabler Ministerpräsident gab uns die Ehre, und während des ganzen Halb-Stunden-Termins warteten die Autos des Ministerpräsidenten und seiner Eskorte fahrbereit und mit laufenden Motoren vor dem neuen Verwaltungsgebäude, die Fahrzeuge bereits in Fahrtrichtung, so dass es die Abgase ins Eingangsfoyer blies … Sie müssen sich also nicht die geringsten Sorgen machen!«
    O verflucht der Busen,
    Der solche falschen Töne gibt!
    Verflucht die Seele, die nicht so viel taugt,
    Um ihren eigenen Geliebten sich zu merken …«
    Warum, so fragt sich Tamar und korrigiert die Einstellung ihres Opernglases, warum hat man für die Rolle der Alkmene keine Tunte genommen? Wäre das nicht konsequent gewesen bei einer Collage aus Texten, in denen Männer – ausschließlich Männer! – sich Gedanken darüber machen, was eine Frau wohl von dem mitkriegt, was mit ihrem Körper zur Nacht geschieht? Egal, es ist so oder so nicht ihr Thema. Sie richtet das Glas auf das Paar in der fünften Reihe, weil dort – so kommt es ihr vor – das eigentliche Theater stattfindet.
    Tamar war Karen Andermatt bis ins Deutsche Theater gefolgt, und es hatte nicht so ausgesehen, als sei diese dort verabredet: kein kurzes Innehalten zuvor, kein Überprüfen der Frisur, kein Blick in den Taschenspiegel. Und dann? Dann stand, wie aus dem Boden gezaubert, der Grauhaarige da: Küss die Hand, gnä’ Frau! Und bei ihr? Große Überraschung! Sie hier, mein Herr! Irgendetwas in der Art. Am Ende begibt man sich Arm in Arm hinein ins Theater …
    Wem zum Teufel spielen die beiden diese Salonkomödie vor? Sich selbst? Karen Andermatt scheint sehr aufrecht zu sitzen, der Bühne zugewandt, die Körperhaltung sieht nicht so aus, als ob sie nonverbale Annäherungsversuche ermutigen würde – soweit Tamar das von ihrem billigen Platz aus beurteilen kann. Der Grauhaarige hingegen sitzt lässig da, zurückgelehnt, fast so, als beobachte er von der Seite, wie Karen Andermatt das Bühnengeschehen verfolgt …
    Ein Paar? Nein, entscheidet Tamar. Noch kein Paar? Auch nicht. Diese Karen ist in einem Alter, in dem frau einen Grauhaarigen keinesfalls in Betracht zieht: nicht mehr jung genug, um sich von dem Typus Elder Statesman geschmeichelt zu fühlen, und noch nicht alt genug, um als dessen altersgemäße Begleiterin angesehen werden zu wollen. Trotzdem war die Begegnung vor der Abendkasse eine abgekartete Sache, soviel steht fest. Also?
    Der Grauhaarige hat im Theater gewartet, weil er wusste, dass diese Karen auftauchen würde. Also wusste er, dass sie Karten hatte, und zwar eine zu viel. Das deutet daraufhin, dass er es war, der sie von Meunier & Kadritzke hat überwachen lassen. Oder ausspähen. Da Meunier & Kadritzke für die Regnier AG arbeiten, ist der Fall insoweit klar: An diesem Abend kommt zur Aufführung eine Intrige aus den Chefetagen von Regnier Berlin.
    Damit ist aber nicht geklärt, warum Karen Andermatt dem Grauhaarigen die Theaterkarten nicht um die Ohren geschlagen hat. Dass sie beschattet wurde, hat sie so empört, dass sie zu Berndorf gelaufen kam. Und jetzt? Tamar kommt zum Schluss, dass es nur eine Erklärung gibt: Dieses Luder spielt mit …
    Aber wieso Luder? Vorerst sitzt sie noch immer da wie eine Klosterschülerin! Tamar setzt das Opernglas ab, betrachtet das Geschehen auf der Bühne, der Darsteller des Amphitryon wirft sich dem Jupiter zu Füßen und deklamiert:
    »Du bist der große Donnerer!/Und dein ist alles, was ich habe …«
    Tamar muss lachen. Der große Donnerer! Donnernd komisch. Dann nimmt sie das Opernglas wieder auf und stellt es so ein, dass sie die Nackenlinie noch einmal vors Auge bekommt. Die Nackenlinie von diesem Luder von einer Klosterschülerin.
    E s ist Pause, Karen hat sich zwar nicht zu einem Sekt, aber zu einem Glas Orangensaft einladen lassen, nun schlendern sie und Stukkart durch das Foyer. Mit Missvergnügen stellt Karen fest, dass Stukkart schon wieder einen Anlass gefunden hat, seine Gedanken zum Verhältnis der Geschlechter auszubreiten.
    »Wissen Sie, was ich finde? Dieses Amphitryon-Motiv taugt gar nicht für eine Komödie. Es handelt nämlich von einer tiefsitzenden Angst … der Angst der Männer im Krieg, was wohl zu Hause mit den Frauen passiert.«
    »Handelt nicht jede Komödie von einer verborgenen oder versteckten Angst?«, fragt Karen. Das will Stukkart erklärt haben, und so fährt sie fort. »Was tabu

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