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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Südwesten der Hauptstadt. Dagmar Wohlfrom-Kühn dreht sich um, wieder scheint sie vor allem Lena Quist anzusehen: »Noch traut er sich nicht nach Berlin zurück«, sagt sie und lächelt ein wenig. »Aber er kommt auch nicht richtig davon weg.«
    D ie Amphitryon-Vorstellung ist nicht ganz ausverkauft, und vor der Abendkasse hat sich eine lange Warteschlange gebildet. Karen stellt sich ein wenig seitlich davon auf und hält die eine, die überflüssige Karte hoch – das heißt, sie kommt gar nicht dazu, sie richtig hochzuhalten und anzubieten, als bereits ein großer, grauhaariger Mann im maßgeschneiderten dunklen Anzug vor ihr steht und ihr unter buschigen Augenbrauen hervor einen funkelnden Blick zuwirft.
    »Welch merkwürdige Fügung!«, sagt Carsten Stukkart, »sollten Sie tatsächlich eine Karte abzugeben haben? Einen wunderschönen guten Abend auch!« Er greift nach Karens Hand und deutet einen Handkuss an.
    »Wenn Sie mit einem Platz in der fünften Reihe zufrieden sind«, antwortet Karen, »und Ihnen achtundvierzig Euro nicht zu viel sind. Eine merkwürdige Fügung, sagten Sie? In der Tat. Irgendwer hat meinen Mann nach Moskau geschickt, wie der König David den Uria, ich weiß aber nicht mehr, wohin, und nun muss ich allein ins Theater …«
    Stukkart hat die Brieftasche gezückt und holt einen Hunderter heraus. »Ihrem biblischen Vergleich kann ich nicht so ganz zustimmen. Der Feldherr Uria wurde ins Verderben geschickt, soviel ich weiß, Stefan hingegen ist im besten Begriff, eine brillante Karriere brillant fortzusetzen, das ist so offenkundig, dass sogar ich das sagen darf.« Wieder schießt einer dieser funkelnden Blicke zu Karen.
    »Karriere?«, fragt Karen zurück und gibt ihm das Wechselgeld. »Wenn die darin besteht, dass die Ehefrau nur noch allein ins Theater kann, dann soll er sich das alles noch einmal gründlich überlegen. Es sei denn …«, sie gibt einen fragenden Blick zurück, »die Karriere erreicht irgendwann ein Stadium, in dem nicht jeder Abend verplant ist.«
    »Das wird nicht einfach«, meint Stukkart. »In meinem Fall – also heute Abend ist es, ich sagte es ja schon, eine glückliche Fügung, ein amerikanischer Freund hätte mich besuchen sollen. Aber er hat einen Zwischenstopp in Paris eingelegt, und nun wird der Flughafen Charles de Gaulle bestreikt. Also stand ich vor der Frage, was tun mit dem Abend? Weil ich in der FAZ eine gerade enthusiastische Rezension gelesen habe, bin ich auf gut Glück hergekommen. Jetzt hoffe ich nur, mein Freund ist bei der Gestaltung des Abends wenigstens annähernd erfolgreich.«
    In Paris sollte das nicht allzu schwierig sein, geht es Karen durch den Kopf. Höchstens, dass der amerikanische Freund etwas mehr Geld in die Hand nehmen muss als 48 Euro. Ihr fällt ein, wie sie mit Stefan in einem der intimeren Cabarets war, etwas abseits vom Boulevard de Clichy, sehr hübsche Mädchen hat sie da gesehen, aber so etwas von appetitlich, alles was recht ist! Sie verscheucht den Gedanken, etwas Anderes, Störendes drängt sich vor das Bild der Pussycats vom Montmartre, es ist ihr, als habe sie ein fremder Blick gestreift. Nicht schon wieder, bitte! Sie blickt sich um, niemand zu sehen in einer graubeigen Windjacke, natürlich nicht, und auch niemand in Schnallenschuhen.
    »Erwarten Sie noch jemand?«, fragt Stukkart.
    »Nein. Es ist nur … Kennen Sie das Gefühl, als beobachte Sie jemand? Dass sich irgendwo im Hintergrund jemand herumdrückt, der wissen will, wer Sie sind und was Sie tun? Nein, vermutlich können Sie dieses Gefühl gar nicht kennen, Sie sind es gewöhnt, nicht wahr, dass man auf Sie achtet, dass Sie fotografiert werden?«
    »Eigentlich nicht«, sagt Stukkart, zögernd und fast abwehrend, »entschuldigen Sie bitte, falls das dumm klingt – aber ich vermeide es sorgfältig, für prominent gehalten zu werden. Und dieses Gefühl, beobachtet zu werden – also das sollte Sie nicht beunruhigen. Sie sind eine sehr anziehende Frau, naturgemäß zieht das Blicke auf sich.«
    »Vielleicht bin ich auch nur paranoid«, weicht Karen aus. »Ist es für eine Karriere bei Regnier sehr störend, wenn die Ehefrau an Verfolgungswahn leidet?« Ein Klingelzeichen ertönt, die Menge der im Foyer Wartenden bewegt sich, Stukkart bietet Karen seinen Arm, sie nimmt ihn, und sie wenden sich dem Eingang für das vordere Parkett zu.
    »Erstens«, sagt Stukkart, »haben Sie keinen Verfolgungswahn, zweitens hätte es nichts zu besagen, unsere Gesellschaft insgesamt

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