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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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oder später werden wir miteinander reden müssen.«
    »Das hört sich jetzt zwar anders an«, sagt Berndorf, der ebenfalls aufgestanden ist. »Trotzdem muss ich Sie enttäuschen. Ich bin nahezu ein ganzes Berufsleben hindurch Polizist gewesen, und das scheint mir Grund genug, warum ich zu dieser Trauerfeier gegangen bin. Leider ist diese Trauerfeier als eine Art Staatsakt inszeniert worden. Ich mag so etwas nicht. Deswegen bin ich früher gegangen und dabei überprüft worden. Das ist alles.«
    Keith sieht ihn an, dann ist er es, der ein Kopfnicken andeutet. »Dann entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich wünsche noch einen angenehmen Tag …!« Berndorf begleitet ihn zur Tür, kehrt dann zu seinem Schreibtisch zurück und holt die Kopien aus der Schublade. Wo war er stehen geblieben? Ach ja, bei dem Vorwurf an die Adresse der Polizei, für Verbrechen an Homosexuellen und Transvestiten interessiere sie sich nicht …
    »Davon kann keine Rede sein«, erklärte dazu Senatsrat Holger Missenpfuhl, »und auch durch ständige Wiederholung gewinnen solche Vorwürfe keinerlei Wahrheitsgehalt.« Zuletzt hat der obdachlose Erwin K. in einem noch nicht fertiggestellten Neubau Unterschlupf gefunden. Freunde von ihm wollen dort Blutspuren gesehen haben. Dazu Missenpfuhl: »Auch hier kann ich nur sagen: Fehlanzeige. Null Spuren. Leider oder Gott sei Dank.«
    Wo ist Erwin K. nun aber abgeblieben? »Wir haben keine Ahnung. Vielleicht ist er auf Lanzarote. Da soll es im November ja ganz angenehm sein, und Urlauber haben Zeit, sich aus der Hand lesen zu lassen.« Einen Wahrsager will Missenpfuhl aber nicht zu Rate ziehen.
    Es muss lustig sein, denkt Berndorf, das Leben eines Berliner Obdachlosen. Wenn es kalt wird, fliegt er nach Lanzarote. Wo ist das Problem? Er nimmt die dritte Kopie, es ist die eines einspaltigen Artikels mit der Überschrift: »Wo ist Erwin K.?«, als Datum ist diesmal der 15. November 1993 notiert:
    »Am Hackeschen Markt haben gestern mehrere Dutzend Demonstranten an das Schicksal des Obdachlosen Erwin K. erinnert, der vor ungefähr einem Jahr spurlos verschwunden ist. Der damals 35jährige war als Wahrsagerin Carmencita ein Begriff im Kiez. Die Demonstranten erhoben den Vorwurf, Erwin K. sei vermutlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Die Polizei sei den entsprechenden Hinweisen aber nicht nachgegangen. Von der Polizei wurde dazu auf Anfrage erklärt, es habe damals keinen Hinweis auf ein Verbrechen gegeben und es gebe einen solchen auch heute nicht. Wo sich der Obdachlose Erwin K. jetzt aufhalte, entziehe sich ihrer Kenntnis.«
    Berndorf nimmt den vierten Ausschnitt auf und stellt bei einem Blick auf das Datum – 4. November 1992 – fest, dass er ihn vermutlich als ersten hätte lesen sollen. Unter der Überschrift: »Streifenwagen mit Molotow-Cocktail in Brand gesetzt« heißt es da:
    »Aus einem fahrenden Auto heraus haben bisher unbekannte Täter einen vor dem Polizeirevier Berlin Mitte geparkten Streifenwagen mit Benzinbomben beworfen und in Brand gesetzt. Das Fahrzeug brannte völlig aus. Die sofort eingeleitete Fahndung nach den Tätern blieb bisher ohne Erfolg. Senatsrat Holger Missenpfuhl verurteilte den Anschlag als schändliche Tat und nannte sie ein Indiz für die zunehmende Brutalisierung der kriminellen Szene …«
    »Nein!«, entfährt es Berndorf, denn schon wieder hat es geklingelt. Er geht zur Tür und ist erleichtert, denn diesmal ist es Tamar, die davorsteht. Er blickt auf die Uhr.
    »Das trifft sich gut«, sagt er zur Begrüßung, »gehen Sie mit mir was essen? Die Osteria an der Ecke müsste schon die Küche angeworfen haben.«
    »Nein«, antwortet sie und läuft an ihm vorbei in sein Büro, »ich bin zum Tee eingeladen, nach Nikolassee, und will von Ihnen eigentlich nur wissen, ob diese Dame dort noch Klientin ist oder ob ich dies als private Einladung ansehen muss oder darf oder was auch immer!«
    »Ah ja«, macht Berndorf und kommt sich ein wenig hilflos vor. »Diese Dame in Nikolassee! Der Auftrag ist noch nicht abgeschlossen, also ist sie noch immer Klientin. In welcher Eigenschaft Sie mit ihr Tee trinken, bleibt Ihnen überlassen.« Er nimmt die vier Ausschnitte und wendet sich zu dem Kopiergerät, das auf einem Sideboard neben dem Schreibtisch steht. »Da ist noch etwas …« Er zieht Kopien von allen vier Artikeln und gibt ihr einen Satz davon. »Ich hatte versucht, mich über Regulski zu erkundigen, äußerst erfolglos, wie es zunächst schien … aber vor einer

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