Berndorf 07 - Trotzkis Narr
die Antwort. »Musst du nicht buchstabieren. Vergiss es einfach. Lass die Finger davon. Oder ihr schaltet die Bundesanwaltschaft ein. Ruzkow ist viel zu weit oben in der Hierarchie. Wenn die Russenmafia gegen den was hätte unternehmen wollen, dann hätten wir in Moskau schon längst St.-Valentins-Tag.«
»Wenn du meinst«, sagt Jörgass resignierend, murmelt so etwas wie einen Dank für die Auskunft und legt auf. Dann nimmt er die Füße vom Papierkorb und wendet sich seinem Schreibtisch und damit auch seiner Kollegin Lena Quist zu, die eine Landkarte und allerhand anderes Papier auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hat und im Internet Zugverbindungen sucht. »Was treibst du da und warum?«, will Jörgass wissen. »Läuft hier ein Fortbildungsprogramm – wie lernen wir unsere Heimat kennen?«
»Harlass hat doch am Montag in der Galerie im Potsdamer Hauptbahnhof eingekauft, nicht nur einen Rasierer, sondern auch eine Zahnbürste und einen Schlafanzug, und zwar muss das am späten Vormittag gewesen sein … Moment: Der Kaufpreis für den Rasierer ist um 11.52 Uhr in der Kasse des Elektro-Marktes verbucht worden, die Zahnbürste wurde um 12.08 Uhr in der Drogerie bezahlt und der Schlafanzug um 12.27 Uhr in einem Textilgeschäft, verstehst du?«
Statt einer Antwort blickt Jörgass zur Decke.
»Nun fahren an einem Montagvormittag nicht so schrecklich viele Leute mit dem Zug, die keine Monatskarte haben«, fährt Lena Quist fort. »An diesem Montag sind zum Beispiel an den Fahrkartenautomaten im Hauptbahnhof Potsdam in der Zeit zwischen 11.00 Uhr und 11.20 Uhr und 11.40 Uhr gerade mal siebzehn Tickets gezogen worden. Ich habe die Liste hier …« – sie ergreift einen Computerausdruck und wedelt damit über den Schreibtisch.
»Einen Augenblick!«, sagt Jörgass. »Montags fahren nur Leute mit dem Zug, die eine Monatskarte haben, ja? Hast du das gerade als neues Dogma erfunden?«
»Ich habe nur gesagt, an einem Montagvormittag sind es nicht so sehr viele«, verteidigt sich die Quist, »und siebzehn Tickets in zwanzig Minuten sind ja wirklich nicht viel, nicht für einen Hauptbahnhof.«
»Es ist der Hauptbahnhof von Potsdam«, erwidert Jörgass. »Und wie kommst du überhaupt auf diese zwanzig Minuten? Von null Uhr siebzehn bis null Uhr siebenunddreißig wären vielleicht überhaupt keine Tickets gezogen worden …«
»Dieser Harlass hat kurz vor Mittag den Rasierer gekauft«, antwortet Lena Quist. »Warum um diese Zeit? Warum nicht vorher? Ich vermute mal, dass er erst kurz vorher auf dem Hauptbahnhof angekommen ist. Und was hat er dann getan? Wenn er in Potsdam eine Unterkunft gewusst hätte, wäre er erst einmal dorthin.«
»Warum?«
»Der weiß doch auch, dass er gesucht wird. Wenn er in Potsdam bleiben will, dann läuft der doch nicht in der Einkaufsgalerie von einem Laden zum andern, wo er von so und so viel Leuten gesehen wird. Nein, der hat sich einen Zug herausgesucht, dann hat er gesehen, dass er noch Zeit hat, sich ein paar Sachen zu kaufen, aber bevor er damit beginnt, zieht er sein Ticket, damit er das schon mal hat. Deswegen hab ich die zwanzig Minuten so kalkuliert, dass gerade genug Zeit für alles bleibt, also für das Ticket, für den Weg in den Elektroladen und für das Aussuchen des Rasierers, den er dann …«
»Irgendwann vor zwölf Uhr an der Kasse bezahlt«, sagt Jörgass, »ich hab es jetzt verstanden, danke! Und dann soll er von mir aus auch eines von diesen siebzehn Tickets gezogen haben. Aber was ergibt sich daraus?«
»Von diesen siebzehn Reisenden wollten die meisten nach Berlin Hauptbahnhof, drei nach Frankfurt/Oder, zwei nach Cottbus. Die anderen hatten Bahnhöfe in der Region eingegeben. Einer wollte nach Rathenow, ein anderer über Rathenow nach Crammenow.«
»Nie gehört.«
»Liegt im Westhavelland. Egal! Jedenfalls hab ich den brandenburgischen Kollegen ein paar Bahnhöfe genannt, wo sie das Fahndungsfoto von Harlass vorzeigen könnten.«
»Und woher willst du wissen, dass der nicht einfach wieder in Berlin hockt?«
Lena Quist steht auf und zeichnet auf der Landkarte eine Schlaufe nach, die nordöstlich von Berlin beginnt und in Potsdam endet. »Auch die Staatsanwältin glaubt, dass Harlass um Berlin erst mal einen großen Bogen macht. Sonst wäre er nicht in Potsdam aufgetaucht …«
Ihr Telefon schlägt an, sie nimmt den Hörer und meldet sich. Jörgass sieht ihr zu, sie erwidert seinen Blick und zieht dabei die Augenbrauen hoch, dann bestätigt sie eine Frage mit
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