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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Artikel aus einer der besseren Berliner Zeitungen und auf den 14. November 1992 datiert. Unter der Überschrift: »Rätselraten um Pythia vom Hackeschen Markt« steht zu lesen:
    »Wer sich sein künftiges Lebens- und Liebesglück weissagen lassen wollte, der bekam bisher am Hackeschen Markt rasche und billige Auskunft. Für einen Fünfer las die mannsgroße, in schwarzrote wallende Gewänder gekleidete Carmencita aus jeder Hand, die man ihr hinhielt, und hatte auch allerhand lebenspraktische Hinweise parat, zum Beispiel über den richtigen Gebrauch von Kondomen. Trotzdem war sie nicht überall gerne gesehen. Ihr sonst angenehmer Bariton konnte sehr laut werden, wenn sich zu viele der angesprochenen Kunden verweigerten. Wiederholt hatten entnervte Ladenbesitzer bei der Polizei darum gebeten, ob man die Wahrsagerei nicht mit Hilfe eines Platzverweises unterbinden könne. Dazu hatte die Polizei aber keine rechtliche Handhabe gesehen.
    Nun ist der 38jährige Erwin K. – wie Carmencita mit bürgerlichem Namen heißt – seit ein paar Wochen verschwunden, und das nährt jetzt böse Gerüchte, vor allem in der Transvestiten-Szene. Wieder einmal wird der Polizei vorgeworfen, bei Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle und Transsexuelle sehe sie beflissen weg …«
    Wieder schlägt die Türklingel an. Berndorf flucht leise und legt die Kopien der Zeitungsausschnitte in die Schreibtischschublade. Dann geht er zur Tür und öffnet, ein mittelgroßer Mann, schwarz gekleidet und in einem schwarzen Mantel, steht vor ihm, der Mann ist nicht mehr der Jüngste, das schon etwas schüttere braune Haar ist nach hinten gekämmt. Vor allem aber geht von ihm dieser Geruch nach Kernseife und Amtsbefugnis aus, die überzeugender ist als jede Hundemarke.
    »Ich hoffe, Herr Berndorf, ich komme nicht ungelegen«, sagt der Besucher, »Keith ist mein Name – wir sind Kollegen … Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen?«
    Berndorf weist einladend in Richtung seines Büros, der Besucher tritt ein, den Mantel will er nicht ablegen, er wird Berndorf nicht lange aufhalten. Ungeniert sieht er sich um, Berndorf beobachtet ihn dabei und liest, was in den Augen des Besuchers sehr deutlich zu erkennen ist: dass dies das armselige schäbige Büro eines armseligen schäbigen Privatschnüfflers ist, der – es ist kaum zu glauben – früher einmal ein richtiger Polizist war.
    Keith, Wolfgang Keith, Kriminalhauptkommissar, wie der Karte zu entnehmen ist, die er Berndorf reicht – Keith also setzt sich, dabei streifen seine Augen fast belustigt den Stapel alter Telefonbücher. »Sie haben heute Vormittag unserem Kollegen Jonas Regulski die letzte Ehre erwiesen«, sagt er dann und schlägt ein Bein übers andere. »Ich danke Ihnen dafür.«
    Berndorf deutet ein Kopfnicken an.
    »Sie kannten Regulski?«
    »Kennen ist zu viel gesagt. Ich bin ihm ein-, nein: zweimal begegnet.«
    Keith nickt. »Sie haben die Trauerfeier nicht nur besucht, Sie haben sie auch beobachtet. Warum?«
    Berndorf betrachtet sein Gegenüber. Eine neue Generation von Polizisten? Oder ist es einfach die Berliner Art, sich als Hauptstädter aufzuführen? Egal. »Nächste Frage.«
    Ein Zucken läuft über Keiths Gesicht. »Wie Sie meinen.« Abrupt stellt er beide Füße auf den Boden. »Ich hatte gehofft, mit Ihnen vernünftig reden zu können. Dass wir kooperieren, wäre übrigens für Sie wichtiger als für uns. Aber gut. Offenbar haben Sie ein Trittbrett gefunden, auf dem Sie mitfahren können …«
    »Wenn Sie mit mir vernünftig reden wollen«, unterbricht ihn Berndorf, »dann tun Sie nicht so, als hätten Sie das Handwerk bei der Stasi gelernt.«
    »Sie wissen, dass ich Sie jetzt wegen Beleidigung anzeigen kann?«, fragt Keith. »Es gibt keinen Richter in Berlin, der Sie nicht verurteilen würde.«
    Berndorf zeigt mit der Hand zur Türe. Keith steht auf, macht aber keine Anstalten zu gehen. »Hören Sie – ich bin im Guten zu Ihnen gekommen. In der Hoffnung auf vernünftige Kooperation, ich sagte es ja schon. Wir haben es mit zwei Morden zu tun, zwei Morden, die mit großer Brutalität begangen wurden und bei denen man beides Mal dieselbe Schusswaffe benutzt hat. Außerdem suchen wir nach einem dringend Tatverdächtigen. Ich verrate damit nichts Neues, das ist alles in den Medien bereits mitgeteilt worden. Offenbar aber hat der Fall mehrere Aspekte, und einen davon scheinen Sie aufgegriffen zu haben. Oder Sie sind vielmehr beauftragt worden, ihn aufzugreifen. Begreifen Sie bitte – früher

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