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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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einem kurzen »Ja« und hört schon wieder zu. Schließlich bedankt sie sich, legt auf und zeigt Jörgass ganz kurz und spielerisch ihre Zähne. »Kinderüberraschung! Ein Mann, der so ähnlich aussehen soll wie Lutz Harlass, hat am Montag kurz vor 14 Uhr in der Bahnhofsgaststätte von Rathenow eine Cola zum Mitnehmen gekauft und ist dann gleich wieder gegangen …« Sie sucht in den Zetteln auf ihrem Schreibtisch und wird fündig. »Hier – wenn es Harlass war, dann hat er den Zug 12.38 Uhr ab Potsdam Hauptbahnhof genommen, ist um 13.51 Uhr in Rathenow angekommen und hätte gerade 14 Minuten Zeit gehabt, um sich die Cola zu kaufen und den Anschlusszug nach Crammenow zu bekommen.«
    Jörgass greift zum Telefon und gibt eine Kurzwahl ein. Niemand nimmt ab. Schließlich lässt er den Hörer sinken. »Wieso ist Keith nicht da?«
    »Der ist auf der Trauerfeier für Regulski.«
    »Der trauert aber lang«, meint Jörgass und wählt erneut, diesmal eine Handy-Nummer. Wieder wird nicht abgenommen. Schließlich meldet sich der Anrufbeantworter, und Jörgass spricht eine kurze Nachricht. »Keith, die Lena hat da vielleicht was rausgefunden …«
    N och ist Nachmittag, aber das Licht in dem kleinen Büro ist so schlecht, dass Berndorf bereits die Schreibtischlampe eingeschaltet hat. Außerdem hat er die neue Lesebrille aufgesetzt, das ist noch ungewohnt für ihn, aber er wird sich mit ihr abfinden müssen. Anders kann er manche Texte nicht mehr lesen. Zum Beispiel sind die Einträge in den alten Berliner Telefonbüchern das reine Augenpulver – und da soll dann einer heraussuchen, welche Hintzes im Jahr 2002 noch vertreten waren und 2003 oder 2004 nicht mehr. Es gibt nämlich Hintzes in Berlin wie Sand in Brandenburg oder annähernd so viel, mindestens zwei Spalten Telefonbuch füllen sie …
    Dabei ist ihm gar nicht viel geholfen, wenn sich ein einzelner Eintrag geändert haben sollte. Wenn eine Waltraud Hintze im Telefonbuch von 2002 erscheint, in dem von 2003 aber nicht – was weiß er dann, was er mittags nicht schon wusste? Er sucht etwas anderes. Hier zum Beispiel, ein Baugeschäft Paul Hintze, in der Ausgabe von 2002 ist sogar eine kleine Anzeige dazu geschaltet, die Fa. Hintze empfiehlt sich für Neu- u. Ausbau sowie f. sachger. Renovation … Berndorf sucht die Spalten des Telefonbuchs von 2003 ab, die Anzeige ist nicht mehr zu finden, auch der Eintrag selbst nicht mehr und auch kein Hintze mit der Telefonnummer, die das Baugeschäft hatte.
    Er schreckt hoch. Was ist? Die Türglocke bimmelt. Er schlägt die Telefonbücher zu und legt sie auf einen Stapel. Dann geht er durch den kleinen Korridor und öffnet, vor ihm steht ein Fahrradkurier und will wissen, ob er der Herr Berndorf ist, Hans Berndorf, dann muss er den Empfang eines Eilbriefes quittieren, er tut es und erhält einen braunen DIN-A-4-Umschlag. Langsam geht er zu seinem Schreibtisch zurück, der Umschlag fühlt sich dünn an, die Adresse ist von Hand geschrieben, die Handschrift ist ordentlich und genau und vermutlich die einer Frau. An seinem Schreibtisch öffnet er den Umschlag. Es sind Kopien von vier Zeitungsartikeln darin oder genauer: von vier Artikeln, die man ausgeschnitten und auf Papier aufgeklebt hat, am Rande sind Datum und Fundstelle handschriftlich vermerkt. Beim ersten Artikel handelt es sich um einen Ausriss aus einem Wochen- oder Szeneblatt mit dem Titel: »Carmencita spurlos verschwunden«, vermerkt ist das Datum vom 6. November 1992 und das Kürzel »AltZ«, Berndorf vermutet, dass es für »Alternative Zeitung« steht. Er beginnt zu lesen:
    »Freunde von Carmencita sind in großer Sorge: Seit einigen Tagen hat niemand mehr die Wahrsagerin gesehen, die sonst fest zur Szene rund um Alexanderplatz und Hackeschem Markt gehört. Zuletzt wohnte sie in einem nicht fertiggestellten Neubau. Als ein Bekannter nach ihr sehen wollte, entdeckte er Blutspuren auf dem Betonboden des Erdgeschosses. Wie nicht anders zu erwarten, weigert sich die Polizei, auch nur eine Vermisstenmeldung aufzunehmen. Die einzige Reaktion: Sie hat Carmencitas Bekannten wegen Hausfriedensbruchs angezeigt, weil er widerrechtlich in den Neubau eingedrungen sei. Kotz! Würg! Die Redaktion bittet deshalb alle, die Carmencita gesehen oder ein Lebenszeichen von ihr bekommen haben, sich zu melden. Sie ist etwa 1.80 Meter groß, hat lange schwarze Haare und trägt ein knöchellanges schwarz-rotes Kleid.«
    Carmencita? Berndorf nimmt sich den nächsten Ausschnitt vor. Es ist ein

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