Berndorf 07 - Trotzkis Narr
von einem frisch ausgegossenen Estrich, und auf denen sah man – ja, was soll man da drauf sehen? Nichts, außer dass der Estrich irgendwie graublau aussieht. Jedenfalls sah man keine Flecken drauf … und das war es dann. Von Carmencita hat man nie wieder etwas gehört oder gesehen …« Er nimmt noch einen Schluck vom Mineralwasser und blickt übers Glas hinweg zu Tamar. »Und da wollen Sie etwas dran ändern?«
»Man kann es ja mal versuchen … Wissen Sie noch, welches Haus das war, dieser Neubau von damals?«
Jo Wilson wirft einen Blick auf seine Uhr. Er trägt sie am linken Handgelenk, und zwar auf der Innenseite. »Die Hausnummer weiß ich wirklich nicht mehr … Aber wir könnten es im Internet versuchen.« Er wendet sich zu seinem Notebook, dessen Bildschirm schon die ganze Zeit aufgeklappt war. »Wenn die Eigentümer die Aufnahme nicht gesperrt haben, müssten wir es in Street View finden.« Er gibt ein paar Befehle ein. »Und was tun Sie, wenn Sie die Hausnummer haben?«
»Den Architekten herausfinden«, antwortet Tamar.
»Und dann?«
»Ihn um eine Auskunft bitten.«
»Ah ja«, macht Wilson, der nur mit halbem Ohr zugehört hat, »hier haben wir es ja …« Auf dem Monitor erscheint der Ausschnitt einer breiten Straße, Wilson dreht die Perspektive, bis er schließlich ein Geschäfts- oder Bürohaus auf dem Bildschirm hat, man sieht eine Betonfassade, die so tut, als sei sie aus Buntsandstein, und sehr viel Glas.
»Danke«, sagt Tamar. »Sie haben mir sehr geholfen.«
F lachdach, Sichtbeton, Glaswände, braun getönt … Es muss schon lange her sein, dass man so gebaut hat, denn längst wird die Villa von einem mächtigen Apfelbaum überwölbt. Berndorf klingelt, eine Frau mit straff nach hinten gebundenem Haar öffnet, Berndorf sagt seinen Namen und dass er angerufen habe, und die Frau weiß auch schon Bescheid, ihr Mann erwarte ihn. Er wird in ein Arbeitszimmer geführt, Bücherwände öffnen sich zu einer Glasfront mit Blick auf einen von hohen Hecken umgebenen Rasen. Ein älterer großgewachsener Mann steht etwas mühsam hinter dem Schreibtisch auf, sich dabei auf eine Krücke stützend.
»Eine Hüftoperation, müssen Sie wissen«, sagt Dr. jur. Jochen Lüdicke, »seien Sie froh, junger Mann, dass Ihnen das noch nicht blüht, so etwas ist nicht lustig, aber noch viel unlustiger ist es ohne Operation!« Lüdicke geleitet Berndorf zu einem Lese- oder Besprechungstisch, man nimmt auf Stühlen Platz. »Früher hatte ich hier Fauteuils stehen, so ganz tiefe, aber aus denen kommt unsereins überhaupt nicht mehr hoch.« Hinter der Hornbrille des Dr. Jochen Lüdicke funkeln aufmerksame Augen, das Haar ist noch immer braun und dicht, Oberlippen- und Kinnbart sind sorgfältig gestutzt. Berndorf bemerkt, dass auch er einer Musterung unterzogen wird.
»Ich hoffe«, sagt Lüdicke, als er die Musterung abgeschlossen hat, »dass ich das richtig verstanden habe – Sie interessieren sich für den Konkurs des unglücklichen Baugeschäftes Hintze, und weil man in unserer Kanzlei glaubt, dem Austrägler Lüdicke tue etwas Gesellschaft gut, hat man Sie zu mir geschickt … Ist das richtig so?«
Berndorf erklärt, dass er am Vormittag im Handelsregister die Angaben über die Firma Hintze nachgeschlagen habe. »Als das Unternehmen im Jahr 2002 insolvent wurde, hat man Sie als Konkursverwalter bestellt. Ich rief deshalb in Ihrer Kanzlei an, und dort sagte man mir, dass Sie sich bereits im Ruhestand befinden …«
»Ja, ja«, sagt Lüdicke unwillig, »Ruhestand, das Wort kann ich nicht leiden! Aber an die Firma Hintze kann ich mich durchaus erinnern, nicht weil das ein irgendwie großes, ein irgendwie bedeutendes Unternehmen gewesen wäre, durchaus nicht, aber es gibt ein oder zwei Dinge in dieser Sache, an die sich zu erinnern es durchaus einen Grund gibt. Nur, junger Mann, warum ich Ihnen davon berichten soll – das hat sich mir noch nicht ganz erschlossen. Übrigens bemerke ich gerade, dass Sie so jung nun auch wieder nicht sind, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen zu nahe getreten sein sollte!«
Berndorf überlegt, so gut es eben geht, was man einem Mann erzählen kann, der als Wirtschaftsanwalt ein Berufsleben lang damit beschäftigt war, hinter dem Anschein die Wirklichkeit zu erkennen. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit … »Man hat zwei Männer umgebracht«, sagt er dann, »im Abstand von vielleicht 24 Stunden, beide wurden mit derselben Waffe erschossen, sonst scheint es keine Verbindung
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