Berndorf 07 - Trotzkis Narr
zwischen ihnen zu geben. Keine, von der die Polizei weiß. Sonst hätte sie bereits bei Ihnen vorgesprochen …«
»Diese Morde«, fällt Lüdicke ein, »ich habe davon gelesen … Todesschütze macht Jagd auf Freizeitsportler, hieß es in einem der Blätter. Ich kann ja diese Leute, die im Wald herumrennen oder auf ihren Mountainbikes vorbeirasen, ohne einen Blick nach rechts oder links, also die kann ich auch nicht leiden. Aber deswegen gleich totschießen … ich schweife ab, entschuldigen Sie! Warum hätte die Polizei bei mir vorsprechen sollen?«
»Weil es ein mögliches Bindeglied zwischen beiden Mordfällen gibt, und das hat nichts mit Freizeitsport zu tun, sondern mit dem Baugeschäft Hintze.«
»Na gut. Wenn Sie es sagen! Trotzdem weiß ich nicht, warum ich dann Ihnen und nicht der Polizei berichten soll.«
Berndorf hält den Kopf ein wenig schräg und versucht ein Lächeln. »Weil mein Besuch ein sozusagen geschäftlicher ist. Die Geschichte des Baugeschäftes Hintze ist die eine Hälfte eines Zwanzig-Euro-Scheins, von dem ich – vielleicht – die andere Hälfte habe. Wenn sich herausstellen sollte, dass die beiden wirklich zusammenpassen, können wir gemeinsam zur Polizei gehen, oder Sie tun es allein, ganz wie Sie wünschen …«
»Ein Zwanzig-Euro-Schein, wie?« Lüdicke nimmt die Hornbrille und reibt sich die Augen. »Auch der stellt einen gewissen Wert dar, gewiss doch! Na, dann schießen Sie mal los mit Ihrer Hälfte!«
Berndorf hebt die Hand und zeigt auf Lüdicke. »Sie zuerst.« Der Anwalt blickt auf, als sei ihm gerade ein äußerst unsittliches Angebot unterbreitet worden. So geht das nicht, denkt Berndorf, wir sitzen da wie zwei Buben, von denen jeder den Häuptling der Apachen spielen will. Er überlegt einen neuen Anlauf, als es leise klopft. Die Ehefrau betritt das Zimmer, fragt, ob sie dem Besucher eine Tasse Kaffee anbieten darf oder ein Mineralwasser, Berndorf nimmt gerne einen Kaffee, gerne nur schwarz. Die Ehefrau setzt nach: einen entkoffeinierten Kaffee vielleicht? Nein, gerne einen mit Koffein! Die Ehefrau nimmt es zur Kenntnis, »Sie müssen entschuldigen, dass ich danach gefragt habe, aber die Geschichte von diesem Baugeschäft, die bringt einen ganz schnell auf hundertachtzig, mir geht es jedenfalls so …«
Berndorf blickt zu Lüdicke. Der hebt beide Hände, als wolle er dem Himmel klagen, dann lässt er sie wieder sinken. »Wir hatten beim Mittagessen darüber gesprochen, das ließ sich nicht vermeiden, als die Rede auf Ihren Besuch kam … Nun gut, ich gebe mich geschlagen, aber ich muss ein wenig ausholen. Und manche der Fakten sind leider nicht gerichtsfest.«
Er rückt den Stuhl ein wenig zurück, stellt die Krücke zwischen seine Beine und legt beide Hände auf den Griff. »Es gehört zu den wirtschaftspolitischen Sonntagsreden in diesem Land, dass die Leistungen der mittelständischen Betriebe über den grünen Klee gelobt werden. Sie haben eine hohe Wertschöpfung, sie stellen Ausbildungsplätze bereit, sie sind innovativ, sie vergeuden kein Humankapital, weil sich in ihnen keine Seilschaften bilden können, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, gegeneinander zu intrigieren … Alles richtig. Aber wissen Sie, mein Lieber, was unsere Politiker an den mittelständischen Betrieben am allermeisten entzückt, na?«
Berndorf hebt beide Hände, um zu zeigen, dass er ganz so ratlos ist, wie es der Vorredner erhofft.
»Am allermeisten entzückt unsere Politiker«, fährt Lüdicke fort, »dass man mittelständische Betriebe pleite gehen lassen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Könnte man im Fall eines Falles – sagen wir mal: Regnier in die Insolvenz gehen lassen? Oder einen anderen dieser börsennotierten Intrigenstadel? Ich bitte Sie! Das kann man doch nicht zulassen, da muss der Steuerzahler ran, der ist es ja gewöhnt … Aber die kleine Klitsche von nebenan – da ist dann vielleicht ein einzelnes Lebenswerk, eine einzelne Familie ruiniert und eine Handvoll richtiger Arbeitsplätze dazu, na und? Und eben deshalb ist es der vorzüglichste Vorzug der mittelständischen Betriebe, dass sie für die Wechselfälle einer Volkswirtschaft ihren eigenen Buckel hinhalten …« Er bricht ab und blickt auf. Seine Frau ist an den Tisch herangetreten und stellt ein Tablett mit Kaffee und etwas Gebäck ab.
»Trägst du schon wieder einen deiner Leserbriefe vor?«, fragt die Ehefrau und wendet sich zum Gehen. »Erzähl dem Herrn lieber die Geschichte von der
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