Berndorf, Jacques (Hrsg)
»Wirklich?« Sein Mund klappte auf. Er wurde blass. »Ach du lieber ...«
»Was ist?«, rief Olschewski, ganz aus dem Häuschen.
»Die Lady ...«
»Red endlich!«
»Sie hat den Notruf gewählt. Da drin ist angeblich jemand schwer verletzt.«
Mittag war längst vorbei und die Kantine der Polizeidirektion Mayen hatte sich geleert. Nur Kleinschmitt hockte noch vor einem Becher Kaffee und studierte die Reste einer BILD-Zeitung, die ein Uniformierter liegengelassen hatte. Am liebsten hätte er sich wie Olschewski per Bahn vom Acker gemacht, zurück nach Köln, nachdem klar geworden war, dass die Kollegen der hiesigen Kriminalinspektion den Fall übernahmen.
Doch aus irgendwelchen Prestigegründen nahm Hauptkommissar Kaufmann an der stundenlangen Vernehmung der Zeugen teil. Und als Fahrer des Dicken musste Kleinschmitt warten.
Er malte eine Brille auf das Foto von Angela Merkel und verlängerte den Bart von Kurt Beck, bis der Mann aussah wie ein lustiger Islamist. Als Kleinschmitt im Taschenspiegel seine eigene Frisur überprüfte, schwang endlich die Kantinentür auf.
Der Hauptkommissar walzte herein und stieß einen Pfiff aus, als rufe er einen Hund. Kleinschmitt hätte ihn am liebsten ignoriert.
Sie stiefelten hinaus auf den Parkplatz. Endlich ging es nach Hause. Der Dicke fegte sich Krümel von der Wampe – offenbar hatte es bei der Vernehmung belegte Brötchen gegeben.
»Wie geht’s Rabe?«, fragte Kleinschmitt, als sie in den Passat kletterten.
»Ist im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Ein Kerl wie ein Baum, aber die Lady hat mächtig draufgehauen. Was ein Wagenheber ausrichten kann ...«
»Wegen der Beute?«
»Nein, um den Jungen zu retten.« Kaufmann klappte die Sonnenblende nach unten, zeigte dem Schminkspiegel seine Zähne und stocherte mit dem Fingernagel nach Essensresten. »Rabe«, unterbrach er sich, »hat gedroht, Assauers Jungen umzubringen.«
Nothilfe, folgerte Kleinschmitt und staunte über die Frau. Er kreuzte durch Mayen, ohne sich auszukennen, bis er ein Schild entdeckte, das den Weg zur Autobahn wies.
Kaufmann beendete die Zahnhygiene. »Wenn du mich fragst, hat Kalle Assauer die Klunker veruntreut. Die hiesigen Kollegen werden sich den Betrieb in Adenau gründlich vorknöpfen. Vielleicht können sie ihm etwas nachweisen. Für uns ist die Geschichte jedenfalls gegessen.«
Die Wolken lösten sich auf, die Sonne stand tief und strahlte von rechts. Plötzlich schreckte der Dicke hoch und knurrte Kleinschmitt an: »Wo fährst du eigentlich hin, du Penner? Hier geht’s zur Autobahn nach Trier, nicht nach Köln. Und setz gefälligst den Blinker, wenn du mitten auf der Straße wendest!«
Dass der Hauptkommissar recht hatte, wurmte Kleinschmitt am meisten. Minutenlang herrschte Funkstille. Als sie hinter Mendig die A61 erreichten, wagte der Praktikant, das Thema wieder aufzugreifen. »Was wird mit der Frau geschehen?«
»Wir haben sie erst einmal auf freien Fuß gesetzt. In ihrer Haut möchte ich trotzdem nicht stecken.«
»Wieso?«
»Tu nicht so, als hätte dich das Blutbad in der Werkstatt kalt gelassen. Und der kleine Junge hat jetzt womöglich einen Schock fürs Leben.«
Kleinschmitt beschleunigte und freute sich auf zu Hause. »Was sind die Diamanten eigentlich wert?«
»Eine Million. Hat jedenfalls der Juwelier damals behauptet. War gut versichert, der Mann. Inzwischen hat er seinen Laden verkauft und sich an der Agave zur Ruhe gesetzt.«
»Algarve«, verbesserte Kleinschmitt und genoss den kleinen Triumph.
Es dämmerte, und Rita hatte das Gefühl, von einem Punkt außerhalb ihres Körpers zuzusehen, wie sie ihren quietschenden Corsa durch die Gegend lenkte. Empfindungslos gehorchte sie Kalles Anweisungen. Sie hatte den Mechaniker aus Adenau gebeten, sie zu Rabes GTI zu führen. Irgendeinen Sinn musste der Schrecken der letzten Stunden doch haben.
Es fiel Rita schwer, sich den Weg einzuprägen. Ein Gehöft abseits der Straße. Eine Brücke, dann wieder bergan. Schilder wiesen zum Nürburgring. Ein Kruzifix an einem Baum. Gleich dahinter ließ Kalle sie auf eine unbefestigte Fahrspur abbiegen. Nebel auf den Feldern ringsum, Rita schaltete das Licht ein.
Die Polizei hatte sie nicht behandelt wie eine Frau, die man ins Gefängnis stecken wollte. Rabe weinte offenbar keiner eine Träne nach, aber sie musste mit weiteren Vernehmungen rechnen. Sie spürte, dass sie noch immer zitterte.
Durch Schlaglöcher schaukelten sie auf ein Waldstück zu, das wie eine schwarze Wand
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