Berndorf, Jacques (Hrsg)
Wochen die Börse geschlossen, verstehst du? Wenn seine Aktien steigen, muss er sie unter der Hand verschleudern. Deshalb ist er so ungenießbar.«
Ein Ortsschild zeigte an, dass sie Adenau erreicht hatten. Eine Kapelle mit drei spitzen, hoch aufragenden Türmen. Herausgeputzte Fachwerkhäuser. Und schon führte die Straße wieder aus dem Kaff hinaus. Fast hätte Kleinschmitt übersehen, dass ihr Zielobjekt auf das Gelände einer ehemaligen Tankstelle bog, von der nur die Werkstatt geblieben war. Kleinschmitt ging vom Gas und rollte langsam vorbei.
»Zügiger, sonst bemerken sie uns«, blaffte ihn der dicke Kaufmann an. »Und in der nächsten Einfahrt stoppst du.«
Der Praktikant folgte der Anweisung und steuerte bis dicht an einen Zaun. Zwischen Bäumen hindurch erspähte er Rabe und seine Freundin, die ausgestiegen waren.
Ein hagerer Kerl im Blaumann stiefelte dem Pärchen entgegen, wischte die Hände am Overall ab und reichte den Ellbogen zur Begrüßung. Ein Kind rannte herbei. Rabe nahm es auf den Arm. Dann verschwand die Gruppe in der Werkstatt.
Lange Zeit tat sich gar nichts.
Karlheinz Assauer schluckte. Der Kloß im Hals blieb. Keiner hatte ihm gesagt, dass heute Rabes Entlassungstag war. Er selbst hatte den Gedanken daran verdrängt.
»Was soll das heißen, übermorgen?«, bellte sein Kumpel ihn an und griff nach der Bedienung der Hebebühne. Mit der Linken drückte er Julian wie einen Teddy gegen seine breite Brust. Dem Kleinen war anzusehen, dass es ihm nicht gefiel.
»Oder morgen«, antwortete Kalle. »Im Lauf des Nachmittags.«
Rabe drückte Knöpfe. Doch weil der Hauptschalter umgelegt war, tat sich nichts. Rabe wurde noch ungehaltener. »Ich will mein Auto wiederhaben! Jetzt, sofort, verstehst du?«
»Gib mir den Jungen«, mischte sich die hübsche Blonde ein, mit der Rabe aufgekreuzt war.
Kalles Schulfreund ignorierte sie. »Wo hast du meine Kiste eigentlich versteckt?«
Der Kleine strampelte. Rabe packte ihn fester. Mit der freien Hand fegte er die Werkbank frei. Schrauben und anderer Kleinkram flogen durch den Raum.
»Komm, lass ihn los. Gib mir den Kleinen«, wiederholte seine Freundin.
Kalle wusste nicht, wie er reagieren sollte. Sein Kumpel war kein schlechter Kerl. Aber er konnte durchdrehen, wenn er in Wut geriet. Kalle streckte beschwichtigend die Hände aus. »Hör zu, Alter. Dein GTI muss erst auf Vordermann gebracht werden. Er war fünf Jahre eingemottet. Ich mach das gern für dich, aber gib mir wenigstens einen Tag Zeit.«
»Jetzt!«, brüllte Rabe.
Julian begann zu weinen.
»Lass ihn los«, forderte die Blonde, jetzt mit Nachdruck.
»Halt’s Maul, blöde Fotze!«
Rabe legte Julian auf die Werkbank, lockerte blitzschnell den Schraubstock und schob den Kopf des Jungen zwischen die eisernen Backen.
»Ich zähle bis drei.«
»Morgen«, versuchte Kalle ihn zu beschwichtigen. »Sag mir, wo ich den GTI hinbringen soll!«
»Eins.«
Rabe drehte die Kurbel ein kleines Stück. Der Junge wimmerte. Sein Kopf war jetzt eingeklemmt.
»Zwei.«
Der Junge rief nach seiner Mutter. Kalle konnte nicht glauben, dass Rabe imstande war, dem Kleinen etwas zu tun. Es war unmöglich.
»Drei.«
Rabe griff nach der Kurbel.
Die Blonde schrie, als sei der Teufel in sie gefahren. Julian kreischte. Kalle stockte der Atem. Er konnte nicht länger hinsehen.
Kleinschmitt glaubte, etwas gehört zu haben. Er kurbelte das Fenster herunter. Draußen war es still.
Der dicke Kaufmann fragte: »Habt ihr im Ort einen Imbiss gesehen? Unser Praktikant könnte was zum Futtern besorgen. Wer weiß, wie lange die Observation noch dauert.«
Kleinschmitt beschloss, nicht zu reagieren. Jetzt sollte er auch noch den Laufburschen spielen. Von hinten meldete sich Olschewski: »Dieser Karossen-Kalle hat sich die Diamanten jedenfalls nicht unter den Nagel gerissen. Sonst würd’s hier anders aussehen.«
Licht drang durch eine Lücke in den Wolken. Kleinschmitt malte sich aus, wie ein Spezialeinsatzkommando das Gelände stürmen würde. In Sekunden wären Rabe und sein mutmaßlicher Komplize zu Päckchen geschnürt. Ein Job für ihn, dachte Kleinschmitt.
Ein schriller Klingelton ließ ihn zusammenzucken. Der Dicke fischte sein Handy aus der Ablage, lauschte und nickte dabei.
»Was gibt’s?«, fragte Olschewski.
»Rabes Freundin telefoniert«, erklärte Kaufmann. »Die Kollegen im Präsidium zeichnen auf. Offenbar ...« Der Hauptkommissar unterbrach sich und drückte das Gerät fester an die fette Backe.
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