Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
sich jemand anderen suchen. Hören Sie, ich weiß, daß Sie mich haben überprüfen lassen, kommen wir also jetzt zum Geschäft.» Das interessante an den Reichen ist, daß sie es mögen, wenn man ihnen sagt, wo es langgeht. Sie verwechseln das mit Ehrlichkeit. Six nickte zustimmend.
In diesem Augenblick glitt der Butler, geräuschlos wie auf Gummirädern, ins Zimmer, und schwach nach Schweiß und irgendeinem Deo duftend, servierte er mir den Mokka, Schemm das Wasser und seinem Herrn den Cognac, mit dem ausdruckslosen Gesicht eines Mannes, der sechsmal am Tag die Wattepfröpfehen in seinen Ohren wechselt. Ich schlürfte meinen Kaffee und sinnierte darüber, daß der Butler, hätte ich Six erzählt, meine neunzigjährige Großmutter sei mit dem Führer durchgebrannt, weiterserviert hätte, ohne daß ihm auch nur ein einziges Haar zu Berge gestanden hätte. Ich schwöre, daß ich kaum bemerkte, wie er den Raum verließ.
«Das Foto, das Sie gesehen haben, wurde erst vor ein paar Jahren gemacht, anläßlich der Promotion meiner Tochter. Später wurde sie Lehrerin am Arndt-Gymnasium in Dahlem.» Ich kramte einen Bleistift hervor und schickte mich an, auf der Rückseite von Dagmars Hochzeitseinladung Notizen zu machen. « Nein», sagte er, « machen Sie sich keine Notizen, hören Sie bloß zu. Herr Schemm wird Ihnen im Anschluß an unser Gespräch ein vollständiges Dossier aushändigen. Eigentlich war sie eine ziemlich gute Lehrerin, doch ich will ehrlich sein und Ihnen sagen, daß ich mir gewünscht hätte, sie hätte etwas anderes aus ihrem Leben gemacht. Grete - ja, ich vergaß, Ihnen ihren Namen zu sagen -, Grete hatte die schönste Singstimme, und ich wollte, daß sie sich zur Sängerin ausbilden ließ. Doch 1930 heiratete sie einen jungen Juristen vom Berliner Landgericht. Sein Name war Paul Pfarr.»
« War?» fragte ich. Mein Einwurf entlockte ihm abermals einen tiefen Seufzer.
«Ja. Ich hätte es erwähnen sollen. Leider ist er ebenfalls tot.»
« Also zwei Morde», sagte ich.
« Ja», sagte er verlegen. « Zwei Morde.» Er nahm seine Brieftasche heraus und gab mir ein Foto. « Es wurde bei ihrer Hochzeit aufgenommen.»
Dem Foto war nicht viel zu entnehmen, höchstens, daß der Empfang, wie bei den meisten Hochzeiten der Gesellschaft, im Adlon stattgefunden hatte. Ich erkannte die elegante Pagode des Flüster-Springbrunnens mit ihren geschnitzten Elefanten. Ich unterdrückte ein echtes Gähnen. Es war kein besonders gutes Foto, und von Hochzeiten hatte ich allmählich die Nase voll. Ich gab das Foto zurück.
« Ein schönes Paar », sagte ich und steckte mir eine neue Muratti an. Six' schwarze Zigarre lag rauchlos im runden Messingaschenbecher.
« Grete unterrichtete bis 1934, als sie, wie viele andere Frauen, ihre Stellung verlor - eine Begleiterscheinung der Benachteiligung arbeitender Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Währenddessen ergatterte Paul einen Posten im Innenministerium. Nur wenig später starb meine erste Frau, Lisa, und Grete wurde sehr depressiv. Sie fing an, zu trinken und spät nach Hause zu kommen. Aber gerade vor ein paar Wochen schien sie wieder zu sich selber gefunden zu haben.» Six betrachtete grämlich seinen Cognac und stürzte ihn darauf in einem Zug hinunter. «Doch vor drei Tagen starben Paul und Grete bei einem Feuer in ihrem Haus in Lichterfelde-Ost. Aber bevor das Haus in Flammen aufging, wurden beide mit mehreren Schüssen um gebracht und der Safe ausgeraubt.»
«Haben Sie eine Ahnung, was im Safe war? »
«Den Burschen von der Kripo habe ich erzählt, ich hätte keine Ahnung.»
Ich dachte mir mein Teil und sagte: «Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Richtig? »
«Was den größten Teil des Inhalts angeht, habe ich keine Ahnung. Doch im Safe war eine Kleinigkeit, von der ich wußte, ihnen aber nichts sagte.»
«Warum taten Sie das, Herr Six?»
«Weil es mir lieber war, daß sie nichts davon wußten.» «Und ich?»
«Die betreffende Sache bietet Ihnen eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Mörder vor der Polizei aufzuspüren.»
« Und was dann? » Ich hoffte, daß er nicht eine kleine, private Hinrichtung plante, denn ich war nicht in der Stimmung, mich mit meinem Gewissen herumzuschlagen, und das schon gar nicht, wenn eine Menge Geld im Spiel war.
«Bevor Sie den Mörder der Polizei übergeben, werden Sie mir mein Eigentum wiederbeschaffen. Die Behörden dürfen es auf keinen Fall in die Hände bekommen.»
«Über welche reden wir eigentlich?»
Six
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