Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
immer in der SS. Zehn-, zwanzig-, dreißigtausend - nachdem du einkalkuliert hast, daß du andere töten mußt, um deine eigene Haut zu retten, spielt die Zahl mehr oder weniger keine Rolle mehr. Das war meine Endlösung, Berni: die Endlösung für das bedrohliche Problem meines eigenen fortwährenden Überlebens. Sie kön nen von Glück sagen, daß niemals von Ihnen verlangt wurde, die gleiche Kalkulation anzustellen.»
«Das habe ich Ihnen zu verdanken.»
Nebe zuckte schwach die Achseln und deutete dann auf die Papiere, die vor ihm lagen. «Ich bin ziemlich froh, daß ich Sie nicht habe erschießen lassen, jetzt, wo ich dieses Zeug gesehen habe. Natürlich wird dieses Material von einem Ex perten bewertet werden müssen, aber auf den ersten Blick betrachtet, scheinen Sie das große Los gezogen zu haben. Trotzdem würde ich gern mehr über Ihre Quelle erfahren.»
Nachdem ich meine Geschichte noch einmal erzählt hatte, sagte Nebe: «Glauben Sie, daß man ihm trauen kann? Ihrem Russen? »
«Er hat mich bis jetzt noch nie enttäuscht», sagte ich. «Natürlich hat er bisher lediglich falsche Ausweispapiere für mich besorgt.»
Nebe füllte die Gläser noch einmal und runzelte die Stirn.
«Gibt es ein Problem?» fragte ich.
«Es ist bloß so, Berni, daß ich in den zehn Jahren, die ich Sie kenne, nichts finden kann, das mich davon überzeugt, daß Sie jetzt ein gewöhnlicher Schwarzhändler sind.»
«Das sollte nicht schwieriger sein als das Problem, das ich habe, mich davon zu überzeugen, daß Sie ein Kriegsverbre cher waren, Arthur. Oder, zum Beispiel, hinzunehmen, daß Sie nicht tot sind.»
Nebe lächelte. «Da ist was dran. Aber angesichts so vieler Gelegenheiten, welche die riesigen Massen verschleppter Per sonen bieten, bin ich überrascht, daß Sie nicht zu Ihrem alten Gewerbe zurückgekehrt und wieder Privatdetektiv geworden sind.»
«Die Tätigkeit eines Privatdetektivs und die eines Schwarzhändlers schließen einander nicht notwendig aus», sagte ich. «Gute Informationen sind genauso wertvoll wie Penicillin oder Zigaretten. Informationen haben ihren Preis. Und je besser, je brisanter die Informationen sind, desto hö her ist ihr Preis. Das ist immer so gewesen. Übrigens will mein Russe sein Geld.»
«Das wollen sie immer. Manchmal glaube ich, die Iwans setzen mehr Vertrauen in den Dollar als die Amerikaner.» Nebe preßte seine beiden Hände zusammen und legte beide Zeigefinger an die Flügel seiner scharfen Nase. Dann deutete er mit beiden Fingern auf mich, als halte er eine Pistole. «Sie haben sehr gut gearbeitet, Berni. Wirklich sehr gut. Aber ich muß gestehen, daß ich trotzdem verblüfft bin.»
« Über mich als Schwarzhändler? »
«Ich kann das viel leichter akzeptieren als die Vorstellung, daß Sie Traudl Braunsteiner getötet haben. Mord war nie Ihr Stil. »
«Ich habe sie nicht getötet », sagte ich. «König befahl mir, es zu tun, und ich dachte, ich könnte es tun, weil sie eine Kommunistin war. Während meiner Zeit in einem sowjeti schen Gefangenenlager habe ich gelernt, sie zu hassen. Ich haßte die Kommunisten so sehr, daß ich sogar einen getötet hätte. Aber als ich darüber nachdachte, begriff ich, daß ich's nicht tun konnte. Nicht kaltblütig. Vielleicht hätte ich's tun können, wenn sie ein Mann gewesen wäre, aber ein Mäd chen, nein. Ich wollte es ihm heute morgen erzählen, aber als er mir zu meiner Tat gratulierte, beschloß ich, den Mund zu halten und das Verdienst für mich in Anspruch zu nehmen. Ich rechnete damit, es würde Geld dabei rausspringen.»
«Also hat ein anderer sie getötet. Das ist ja überaus inter-
essant. Sie haben keine Ahnung, wer, schätze ich? » Ich schüttelte den Kopf.
«Ein Rätsel also.»
«Genau wie Ihre Wiederauferstehung, Arthur. Wie haben Sie das hingekriegt? »
«Leider kann ich dafür keinerlei Verdienst in Anspruch nehmen », sagte er. «Es war etwas, was die Geheimdienst leute ausgekocht hatten. In den letzten Kriegsmonaten fri sierten sie ganz einfach die Dienstakten höherer SS- und Parteiführer, und schon waren wir auf dem Papier tot. Die meisten von uns wurden wegen ihrer Beteiligung an der Stauffenberg-Verschwörung hingerichtet. Nun, was waren schon ein paar hundert zusätzliche Hinrichtungen auf einer Liste, die bereits Tausende von Namen umfaßte? Und dann wurden einige von uns unter den Opfern des Bombenkrieges oder der Schlacht um Berlin aufgeführt. Dann blieb nichts anderes mehr zu tun, als dafür zu
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