Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
geradewegs ins Haus und betraten einen quietschenden Holzfußboden, der bei einem Bibliothe kar einen Herzanfall hätte verursachen können.
König führte mich in ein kleines Wohnzimmer, bat mich, hier zu warten, und ließ mich allein. Ich sah mich aufmerk sam um, doch es gab nicht viel zu sehen, von der Tatsache abgesehen, daß der Besitzer in bezug auf das Mobiliar Land hausstil bevorzugte. Ein grobbehauener Tisch blockierte die Terrassentür, und vor einem leeren Kamin, groß wie ein Gru benschacht, waren zwei gedrechselte Landhaussessel aufge stellt. Ich nahm auf einer etwas bequemer aussehenden Otto mane Platz und band meine Schuhbänder neu. Dann polierte ich meine Schuhspitzen mit dem Rand des abgetretenen Tep pichs. Ich muß etwa eine nicht besonders kurzweilige halbe Stunde gewartet haben, als König zurückkehrte, um mich zu holen. Er führte mich durch ein Labyrinth von Räumen und Fluren und über eine Treppe zum hinteren Teil des Hauses, mit dem Gehabe eines Mannes, dessen Jackett mit Eichen parkett gefüttert ist. Jetzt, da ich eine viel wichtigere Person treffen sollte, kümmerte es mich kaum, ob ich ihn beleidigte oder nicht, und ich sagte: «Wenn Sie den Anzug wechselten, würden Sie einen wunderbaren Butler abgeben.»
König drehte sich nicht um, doch ich hörte, wie er die Zähne bleckte und ein kurzes, trockenes Lachen von sich gab: «Es freut mich, daß Sie so denken. Wissen Sie, wiewohl ich Ihren Sinn für Humor zu schätzen weiß, würde ich Ihnen nicht raten, ihn am General zu erproben. Offen gesagt, er ist ein höchst ernster Mensch.» Er öffnete eine Tür, und wir be traten einen hellen, luftigen Raum mit einem Feuer im Ka min und einem Hektar leerer Bücherregale. Mit dem Gesicht zum breiten Fenster, hinter einem langen Bibliothekstisch stand eine Gestalt im grauen Anzug mit kurzgeschorenem Schädel, die ich zu kennen glaubte. Der Mann drehte sich lä chelnd um, und seine Hakennase gehörte unverkennbar zu einem Gesicht aus meiner Vergangenheit.
«Hallo, Gunther», sagte der Mann.
König sah mich befremdet an, während ich die grinsende Gestalt sprachlos anblinzelte.
« Glauben Sie an Geister, Herr König?» fragte ich. «Nein, Sie etwa? »
«Ich tu es jetzt. Wenn ich mich nicht irre, wurde der Herr am Fenster 1945 wegen seiner Teilnahme an der Verschwö rung, den Führer zu töten, gehängt.»
«Sie können uns allein lassen, Helmut», sagte der Mann.
König nickte knapp, machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
Arthur Nebe deutete auf einen Stuhl vor dem Tisch, auf dem Belinskys Papiere neben einer Brille und einem Füll federhalter ausgebreitet lagen. «Setzen Sie sich», sagte er. «Was zu trinken? » Er lachte. «Sie sehen aus, als könnten Sie einen Schluck gebrauchen.»
«Es kommt nicht jeden Tag vor, daß ich einen Mann sehe, der von den Toten auferstanden ist», sagte ich ruhig. «Geben Sie mir besser einen kräftigen Schluck.»
Nebe öffnete eine große, mit Schnitzereien versehene höl zerne Hausbar, die innen mit Marmor ausgekleidet und mit zahlreichen Flaschen gefüllt war. Er nahm eine Flasche Wodka heraus und goß zwei kleine Gläser bis zum Rand voll. «Auf die alten Kameraden», sagte er und hob sein Glas. Ich lächelte unsicher. «Trinken Sie ruhig. Ich werde deswe gen nicht wieder verschwinden.»
Ich kippte den Wodka und atmete tief, als er im Magen anam.
«Der Tod bekommt Ihnen, Arthur. Sie sehen gut aus.» «Danke. Ich habe mich nie besser gefühlt.»
Ich zündete eine Zigarette an und ließ sie eine Weile an meiner Lippe kleben.
«War's nicht in Minsk?» sagte er. «Im Jahr 1941. Als wir uns zum letztenmal sahen? »
«Stimmt. Sie ließen mich zum Amt für Kriegsverbrechen versetzen. »
«Wegen Ihres Gesuchs hätte ich Sie vors Kriegsgericht bringen, ja sogar erschießen lassen müssen.»
«Nachdem, was ich höre, waren Sie in jenem Sommer ver sessen aufs Erschießen.» Nebe zuckte nicht mit der Wimper. «Warum haben Sie's also nicht getan?»
«Sie waren ein verdammt guter Polizist. Deshalb.»
«Das waren Sie auch.» Ich zog heftig an meiner Zigarette. «Das waren Sie zumindest vor dem Krieg. Wieso der Wan del, Arthur?»
Nebe roch einen Augenblick an seinem Wodka und trank ihn dann in einem Zug aus. «Das ist guter Wodka», be merkte er ruhig, beinahe, als spräche er mit sich selber ... «Berni, erwarten Sie keine Erklärung von mir. Ich hatte meine Befehle auszuführen, also hieß es: sie oder ich. Töte oder du wirst getötet. So lief es
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