Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
nichts habe, was ihn mit Linden in Ver bindung bringt. Jedenfalls noch nicht.»
«Na, dann sollten Sie sich beeilen, Gunther. Wenn in die ser Stadt Gerichtsverhandlungen stattfinden, neigen sie dazu, ziemlich rasch durchgezogen zu werden. Ich sähe es ungern, wenn Sie herumlaufen würden, um die Unschuld eines toten Mannes zu beweisen. Das wäre in jeder Hinsicht schlimm. Schlimm für Sie, schlimm für uns, aber am allerschlimmsten für den Mann, der gehängt wurde.»
«Angenommen, ich würde Ihnen diesen anderen Burschen liefern, damit Sie ihn als einen unentbehrlichen Zeugen fest nehmen.» Es war ein fast verzweifelter Vorschlag, aber ich dachte, es wäre einen Versuch wert.
«Es gibt keine andere Möglichkeit, ihn zur Aussage zu überreden? »
«Nein. Zumindest hätte Becker jemanden, auf den er mit dem Finger zeigen könnte.»
«Sie bitten mich, auf einen glänzenden Boden einen schmutzigen Fleck zu machen.» Shields seufzte. «Wissen Sie, ich sehe es ungern, wenn die andere Seite keine Chance be kommt. Also, ich sage Ihnen, was ich tun werde. Ich werde mich mit meinem Stellvertretenden Kommandeur, Major Wimberley, unterhalten und mir anhören, was er empfiehlt. Aber ich kann nichts versprechen. Es besteht die Möglich keit, daß der Major mir sagt, ich solle die Kurve kratzen, einen Schuldspruch erreichen und mich mit Ihrem Zeugen zum Teufel scheren. Sie machen uns mächtig Feuer unterm Hintern, zu einem schnellen Abschluß zu kommen, wissen Sie. Der Brigadier mag es nicht, wenn amerika nische Offi ziere in dieser Stadt umgebracht werden. Das ist Brigade general Alexander O. Gorder, Befehlshaber der 796. Ein knochenharter Hund. Ich melde mich.»
«Danke, Shields. Ich weiß das zu schätzen.» «Danken Sie mir noch nicht, Mister», sagte er.
Ich legte auf und nahm den Brief in die Hand. Nachdem ich mich damit befächelt und ihn dazu benutzt hatte, meine Fingernägel sauberzumachen, riß ich ihn auf.
Kirsten hat vom Briefeschreiben nie viel gehalten, sie neigte eher zu Postkarten, nur daß es jetzt wohl eher Wunschdenken war, sich eine ermunternde Postkarte aus Berlin vorzustellen. Eine Ansicht der zerstörten Kaiser-Wil helm-Kirche? Oder eine vom ausgebombten Opernhaus? Die Hinrichtungsstätte in Plötzensee ? Ich dachte, daß es noch ziemlich lange dauern würde, bevor man aus Berlin Postkarten verschickte. Ich entfaltete das Papier und begann zu lesen:
Lieber Berni,
ich hoffe, dieser Brief erreicht Dich, aber die Lage ist hier so schwierig, daß er ebensogut nicht ankommen könnte.
In diesem Fall würde ich versuchen, Dir ein Telegramm zu schicken, wenn auch bloß, um Dir zu sagen, daß alles in Ordnung ist. Sokolowski hat verlangt, die sowjetische Mi litärpolizei müsse allen Verkehr von Berlin in den Westen kontrollieren, und das könnte bedeuten, daß die Post nicht durchkommt.
Hier haben alle wirklich Angst, daß all das mit einer um fassenden Blockade der Stadt enden wird und die Russen versuchen werden, die Amerikaner, die Briten und die Franzosen aus Berlin zu vertreiben - obwohl ich nicht glaube, daß jemand traurig wäre, wenn die Franzosen ver duften würden. Niemand hat was dagegen einzuwenden, wenn die Amis und die Tommys uns herumkommandieren - sie haben wenigstens gekämpft und uns besiegt. Aber die Franzmänner? Was sind das für Heuchler? Das Mär chen von einer siegreichen französischen Armee ist für einen Deutschen beinahe unerträglich.
Manche Leute sagen, daß die Amis und die Tommys nicht standhalten werden, und sehen Berlin den Iwans in die Hände fallen. Bei den Briten bin ich nicht so sicher. Sie stek ken im Augenblick mittendrin in Palästina (alle Bücher über Zionismus sind aus Berliner Buchhandlungen und Bü chereien entfernt worden, was mir mehr als bekannt vor kommt). Aber wenn du gerade glaubst, daß die Briten wichtigere Dinge zu tun haben, hörst du, daß sie weitere deutsche Schiffe zerstört haben. Das Meer ist voll von Fischen, die wir essen könnten, und sie sprengen unsere Schiffe in die Luft! Wollen sie uns etwa vor den Russen be wahren, indem sie uns vor Hunger krepieren lassen?
Man hört immer noch Gerüchte über Kannibalismus. Eine Geschichte ging durch ganz Berlin. Die Polizei wurde zu einem Haus in Kreuzberg gerufen, wo die Leute in der un teren Etage die Geräusche eines schrecklichen Tumults gehört und gesehen hatten, wie Blut durch ihre Decke sik kerte. Die Polizei stürmte in die Wohnung und fand zwei alte Leutchen, die das rohe Fleisch eines
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