Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
im Grunde etwas Persönliches zwischen einem Menschen und seinem Gott, und wenn eine Nation einer anderen Schuld zuschreibe, sei das Gotteslästerung, weil das ein ausschließliches Vorrecht Gottes sei. Danach blieb nichts anderes zu tun übrig, als für die Toten zu beten, für jene, die Unrecht getan hatten, und für die ganze schreckliche und peinliche Epoche, die man so schnell wie möglich vergessen sollte.
Es gab viele, die weiterhin Unbehagen über die Art emp fanden, in der moralischer Schmutz unter den Teppich ge kehrt wurde. Aber es ist sicher, daß eine Nation keine kollek tive Schuld verspüren kann, daß jeder Mensch sich persönlich mit ihr auseinandersetzen muß. Erst jetzt erkannte ich das Wesen meiner eigenen Schuld - und vielleicht war sie nicht wirklich verschieden von der vieler anderer: daß ich nichts gesagt, daß ich nicht meine Hand gegen die Nazis erhoben hatte. Mir wurde auch klar, daß ich ein Gefühl persönlichen Grolls gegen Heinrich Müller hegte, der als Chef der Gestapo mehr als jeder andere getan hatte, die Polizei zu korrumpie-
ren, der ich früher voll Stolz angehört hatte. Von dieser Poli zei war massenhafter Terror ausgegangen.
Jetzt schien mir, daß es noch nicht zu spät war, am Ende doch noch etwas zu tun. Es war immerhin möglich, daß ich, wenn ich Müller aufstöberte, das Symbol nicht nur meiner, sondern auch Beckers Korruption, und ihn der Gerechtigkeit überlieferte, ein wenig von meiner Schuld abtrug an allem, was geschehen war.
Belinsky rief in aller Frühe an, als ob er meine Entschei dung geahnt hätte, und ich sagte ihm, daß ich ihm helfen wolle, Gestapo-Müller zu finden, nicht für Crowcass, nicht für die Vereinigten Staaten, sondern für Deutschland. Aber in erster Linie, sagte ich ihm, um meiner selbst willen wolle ich ihm helfen, Müller zu kriegen.
29
An diesem Morgen ging ich, sobald ich mit König telefoniert und ein Treffen vereinbart hatte, um ihm Belinskys angeblich geheimes Material auszuhändigen, in Liebls Kanzlei in der Judengasse, damit er für mich einen Besuch bei Becker im Po lizeigefängnis arrangierte.
« Ich möchte ihm ein Foto zeigen», erklärte ich.
«Ein Foto?» Liebls Stimme klang hoffnungsvoll. «Ist es ein Foto, das zu einem Beweisstück werden könnte? »
Ich zuckte die Achseln. «Das hängt von Becker ab.»
Liebl machte einige Telefonate, führte den Tod von Bek kers Verlobter ins Feld, die Möglichkeit neuer Beweismittel und die unmittelbar bevorstehende Verhandlung, was uns den fast sofortigen Zugang zum Gefängnis verschaffte. Es war ein schöner Tag, und auf unserem Fußweg trug Liebl sei nen Schirm wie ein Tambourmajor in einem kaiserlichen Garderegiment.
«Haben Sie ihm von Traudl erzählt?» fragte ich. «Gestern abend.»
« Wie nahm er es auf?» Der alte Anwalt hob unsicher die grauen Augenbrauen. «Überraschend gefaßt, Herr Gunther. Wie Sie hatte ich angenommen, die Nachricht würde unseren Klienten umwerfen.» Wieder hob er die Brauen, dieses Mal Verblüffung ausdrückend. «Aber es war nicht so. Nein, es war seine eigene unglückliche Lage, die ihn ausschließlich zu beschäftigen schien. Ebensosehr wie Ihre Fortschritte oder deren Ausbleiben. Herr Becker scheint ein außerordentliches Vertrauen in Ihre detektivischen Fähigkeiten zu setzen. Fä higkeiten, von denen ich, wenn ich offen mit Ihnen sein darf, mein Herr, kaum eine Spur habe entdecken können.»
«Sie haben ein Recht auf Ihre Meinung, Dr. Liebl. Ich schätze, Sie sind wie die meisten Anwälte, die ich kenne:
Wenn Ihre Schwester Ihnen eine Einladung zu ihrer Hochzeit schicken würde, wären Sie nur glücklich, wenn diese in Ge genwart zweier Zeugen unterschrieben und besiegelt worden wäre. Freilich, wenn Ihr Klient ein wenig entgegenkommen der gewesen wäre ... »
« Sie haben den Verdacht, daß er etwas zurückhält? Ja, ich erinnere mich, daß Sie gestern etwas Ähnliches am Telefon sagten. Ohne genau zu wissen, was Sie meinten, sah ich mich nicht in der Lage, mir Herrn Beckers ... », er zögerte eine Sekunde, während er abwog, ob er das Wort billigerweise benutzen könne oder nicht, ehe er sich entschloß, es zu tun, « ... Kummer zu Nutze zu machen und eine solche Behaup tung zu wagen.»
«Sehr rücksichtsvoll von Ihnen, muß ich sagen. Aber die ses Foto wird seinem Gedächtnis vielleicht nachhelfen.» «Ich hoffe sehr. Und seine Trauer über den schmerzlichen Verlust hat vielleicht nachgelassen, und er wird seinen Schmerz gefaßter
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