Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
»Woher weißt du eigentlich, was ich sagen wollte?«
»Kriminalistischer Spürsinn«, witzelte Sydow mit Blick auf Tante Lus gute Stube, in der die Zeit dank Standuhr, Bücherschrank aus der Gründerzeit und einem Ölgemälde, das den 1945 verloren gegangenen Familiensitz derer von Zitzewitz zeigte, stehen geblieben zu sein schien. »Geht einem in Fleisch und Blut über, weißt du.«
»Mag sein«, räumte die Dame des Hauses widerwillig ein. »Und darum, will sagen, um dich auf andere Gedanken zu bringen, solltest du möglichst bald in den Stand der Ehe …«
»Verzeihung, wenn ich einfach so hereinplatze, Frau von Zitzewitz!«, machte Tante Lus Zugehfrau, der es offenbar nicht schnell genug gehen konnte, auf sich aufmerksam. »Da draußen ist ein Herr, der Ihren Neffen dringend zu sprechen wünscht.«
»Um diese Zeit?«, entrüstete sich die alte Dame, drauf und dran, ihren Parkettboden zu ruinieren. »Unerhört!«
Zwei Mal R, mit deutlich anschwellender Tendenz. Aus Sorge um die Konstitution seiner Tante und Furcht vor einer Attacke nach Gutsherrinnenart warf Sydow der Dame des Hauses einen begütigenden Blick zu, tätschelte erneut ihre Hand und begab sich rasch zur Tür.
»Keinerlei Aufregung, Sie wissen schon«, ermahnte Sydow die korpulente, mit Kittelschürze und altbackener Bluse bekleidete Haushälterin, bei deren Anblick ihn der Eindruck beschlich, er sei soeben in die Kaiserzeit zurückkatapultiert worden. »Sonst geht es beim nächsten Mal nicht so glimpflich ab.«
»Gott behüte!«, warf die aufgrund eines allzu proletarischen Vornamens kurzerhand Minna getaufte Zugehfrau ein, als sich die Tür zur guten Stube hinter ihr schloss. »Sie ohne Ihre Tante – das muss man sich mal …«
»Und um wen handelt es sich?«, fragte Sydow, nicht in der Stimmung, sich noch mehr gut gemeinte Ratschläge anzuhören.
»Um einen Herrn Peters«, antwortete die Haushälterin pikiert. »Er sagt, es sei dringend.«
*
»Weißt du was, Tom?«, verkündete ein sichtlich übernächtigter und durchgeschwitzter Heribert Peters, als er sich in den Sessel von Sydows Junggesellenbude fläzte, »ich glaube, du brauchst ’ne Frau.«
»Noch ein Wort, Heribert, und deine Frau wird Witwe.«
Der Gerichtsmediziner hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut«, besänftigte er seinen Freund. »War nur so eine Idee. Vor allem, wenn man das Durcheinander hier sieht.«
»Ein Labor wie eine Rumpelkammer, und anderen Leuten Vorschriften machen«, setzte sich Sydow, der Peters insgeheim recht geben musste, eher halbherzig zur Wehr. Im Zusammenhang mit dem Zustand seiner Bude war das Wort ›Durcheinander‹ sehr dezent gewählt, Sauladen im Grunde viel passender. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Aktenordner, Magazine und Zeitungen, und weil ihm dort langsam der Platz ausging, musste eben die Fensterbank herhalten. Um das Chaos komplett zu machen, lagen überall Klamotten, aufgeschlagene Bücher und Zigarettenschachteln herum, die meisten davon leer. Kurz und gut, in seinen vier Wänden sah es zum Davonlaufen aus, so viel zum Thema Junggesellenleben. »So haben wir’s gern.«
»Chaos oder nicht – ohne mein Labor wäre der Herr von und zu Kuddelmuddel sicher aufgeschmissen, oder?«, lästerte Peters und zwirbelte genüsslich an seiner Augenbraue herum. »Vor allem, was die Datierung von Wasserleichen angeht.«
»Neuigkeiten aus dem Gruselkabinett?«
»Und was für welche!«, versetzte Peters und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Du wirst aus dem Staunen nicht mehr rauskommen, altes Haus.«
»Nicht gackern, legen!«, drängte Sydow, ging zum Kühlschrank und entnahm ihm zwei Flaschen ›Berliner Kindl‹, von denen eine für Peters bestimmt war.
Der lehnte jedoch dankend ab. »Bei dem, was du gleich zu hören kriegst, wäre Sprudel wahrscheinlich passender.«
»Tatsächlich?« Im Begriff, sich das erste Bier des noch jungen Tages zu genehmigen, ließ Sydow den Schnappverschluss wieder einrasten und sah Peters erwartungsvoll an. »Jetzt komm schon, mach’s nicht so spannend.«
»Erstens: Wie bereits vermutet, ist der Leichnam nicht übermäßig lange in der Spree rumgeschwommen, unter Umständen nicht länger als einen halben Tag.«
»Und wie kann man das …«
»Anhand des Zustandes, du Anfänger, in dem sich die Fingerbeeren befinden. Zu Deutsch: die Tastballen am Ende der Innenseite seiner Patschhändchen. Kapiert?«
Sydow streckte die Zunge heraus und setzte ein läppisches Grinsen
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