Bernstein Verschwörung
wahrheitsgemäß geantwortet, nichts davon zu
wissen. Alex war nie ein Mensch gewesen, der über viel Geld
verfügt hatte. Immer hatte er sich mit irgendwelchen Jobs
durchs Leben gerettet, um seine Rechnungen mehr schlecht als recht
bezahlen zu können, vor zwei Monaten hatte sie ihm sogar seine
Handyrechnung bezahlen müssen, damit er sie immer und von
überall aus anrufen konnte. Er selbst war pleite gewesen. Es
gab nichts, was darauf hindeutete, dass er mit dunklen
Geschäften eine Menge Geld verdiente. Inzwischen zweifelte sie
daran, dass sie ihren Freund in den zwei Monaten, in denen sie ein
Paar gewesen waren, wirklich gekannt hatte. Auch seine Freunde
kannte sie kaum. Es gab zwei Jungs, mit denen er sich in letzter
Zeit öfters getroffen hatte, aber zu Treffen mit seinen
Freunden war er meist alleine gegangen. Wenn sie ihn darauf
angesprochen hatte, war ihm das unangenehm gewesen, doch er hatte
charmant geantwortet, dass er sie lieber für sich allein haben
wolle und dass viele seiner Freunde unverschämte
Lüstlinge seien. So hatte sie es dabei bewenden lassen. Auch
sie hatte ihre Freundinnen; viele von ihnen hatte Alexander nicht
gekannt - niemals kennen gelernt, wie ihr nun schmerzhaft bewusst
wurde. Eine Frage hatte sich den ganzen Tag über in ihrem
Gehirn festgebrannt: Warum?
Warum hatte Alexander
sterben müssen? Er war ein netter Kerl gewesen, immer
hilfsbereit und beliebt in ihrer Familie. Opa hatte ihn sofort als
»Schwiegerenkel«, wie er ihn genannt hatte, akzeptiert.
Natürlich waren sie alle betroffen gewesen, als die Nachricht
vom schrecklichen Mord an Alexander gekommen war, und trotzdem
hatte es Mirja vorgezogen, den Tag alleine zu verbringen. Sie
brauchte die Zeit für sich, wollte Abstand gewinnen. Das
Klingeln der Türglocke riss sie aus den Gedanken. Mirja, die
mit einer Wolldecke auf dem Sofa gelegen hatte und ins Nichts
gestarrt hatte, spürte ihr Herz bis zum Hals klopfen. Sie
wandte den Kopf und konnte durch den kleinen Flur bis zur
Wohnungstür blicken. Wer mochte das sein?
Mirja zögerte.
Nein, dachte sie dann, sie wollte niemanden sehen. Nicht jetzt,
nicht heute. Sie blieb liegen und schloss die Augen. Erst als Sturm
geklingelt wurde, stieß sie die Wolldecke fort und erhob
sich. Ein wenig zu schnell, denn der Alkohol hatte seine Wirkung
entfaltet. Sie taumelte, bekam die Lehne des Sofas zu fassen und
ging erst weiter, als sie glaubte, sicher zu stehen.
Mit einem Blick durch
den Spion stellte sie fest, dass niemand vor der Wohnungstür
stand - also besuchte sie niemand aus dem Haus. Träge griff
sie zum Hörer der Gegensprechanlage und hauchte mit schwerer
Zunge ein »Hallo«. Sie hörte die
Straßengeräusche, unten fuhr offenbar gerade ein Bus
vorüber. Doch auch nachdem der Dieselmotor verstummt war,
meldete sich niemand. »Hallo — wer ist denn
da?«
»Polizei, bitte
öffnen!« Eine männliche Stimme, die es offenbar
gewohnt war, Anweisungen zu geben. Mirja überlegte, ob
Kommissar Ulbricht sie noch einmal aufsuchte, doch es war nicht
seine Stimme gewesen. Wahrscheinlich hatte er wieder einen seiner
Mitarbeiter geschickt, weil sie noch weitere Fragen an sie hatten.
Mirja betätigte den Türöffner und hoffte, so einen
Beitrag zu leisten, damit die Polizisten Alexanders Mörder
schnell verhaften konnten. Unten hörte sie, wie die schwere
Haustür ins Schloss fiel, dann eilten Schritte die
hölzernen Stufen hinauf. Mirja bekam Gesprächsfetzen mit,
ohne ein Wort zu verstehen. Offenbar kamen sie zu Zweit. Nun, auch
das sollte ihr recht sein, wenn es half. Sie schloss die Tür
und nahm die Sicherheitskette ab, die ihr Vater angebracht
hatte.
Eilig öffnete sie
die Wohnungstür wieder. Sie wollte nicht, dass die Polizisten
unnötig warten mussten. Vor ihr standen zwei Männer in
Zivil. Und auch wenn Mirja es normalerweise nicht oft mit der
Polizei zu tun hatte, so sah sie doch auf dem ersten Blick, dass
ihre Besucher keine Polizisten waren.
Der Umstand, dass sie
in die Mündung einer Pistole blickte, schaffte Klarheit. Der
Jüngere der beiden trug die Haare kurz geschoren, hatte eine
breite Schlägernase und einen stechenden Blick. Seine Statur
war drahtig, und die Hosen schlackerten um seine Beine.
Sein Partner war
groß, bestimmt zwei Meter, hatte breite Schultern, eine
markante Stirnpartie und eine große Nase, die rechts und
links von fast eckigen Wangenknochen gerahmt wurde. Die Augen lagen
hinter den Gläsern einer großen Sonnenbrille. Obwohl sie
von seinem Gesicht
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