Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Stern schien, ihr Atem kondensierte in dampfenden Wolken. Der Stern, der kein Stern war, der in seinem Innern das Tor barg, das die Dunkelheit zwischen allen Sternen überwand … Sie erhob den Arm, ein Versprechen und eine Anrufung, dann ließ sie ihn wieder sinken, die Hand zur Faust geballt. Sie blickte hinab auf ihre Füße, suchte den Pfad im Halbdunkel. „Mondschatten“, murmelte sie mit leiser Stimme. „Was werden sie mit uns tun? Wer sind sie? Du hast ihn ‚Bruder’ genannt …“
    Auch er sprach sehr leise, die menschliche Sprache benutzend. „Ist Halbbruder, Sohn von Vater. Andere seine Kith-Geschwister.“ Seine Stimme bekam einen festeren Unterton. „Sie bringen uns zu Schneller Springer. Sie dich nicht verletzen, Sternenfrau. Sie dich nicht berühren, dich – fürchten.“
    „Wer ist Schneller Springer?“
    „Schamane – vereinigt mit allen Kiths, zeigt sehr deutlich. Schneller Springer viel Wissen. Alle vereinigen mit ihm viele, viele Sommer lang. Er sagt, dieses Wirklich, anderes ungehörig. Er sagt, ich voller böser Geister … Aber er dir Ehre erweisen. Du befehlen ihm, und er mich nicht quälen. Wir ihnen alles zeigen, was wir wissen, zeigen Zukunft!“ Er schaute sie an, eine Art verzweifelter Hoffnung erfüllte ihn. „Vielleicht das gut, nicht schlecht … Kith-Schwester.“
    „Kith-Bruder.“ Sie nickte unsicher. „Ich hoffe es …“
    Die letzte Biegung der Straße führte sie auf einen weiten, offenen Platz, ähnlich dem Ort, wo die Eingeborenen ihre Gaben darbrachten. Dieser lag an der Einmündung von sechs Straßen, sechsfach umringt von undeutlichen Schatten – den Wänden von Gebäuden, durchsetzt mit tiefschwarzen Pupillen, umrahmt vom Weiß des frischgefallenen Schnees.
    Im Herzen des weiten Platzes brannte ein Feuer in einer steinumrandeten Feuerstelle. Sie spürte den pulsierenden Herzschlag des Lebens, widergespiegelt in den verborgenen Augen dieses Tales. Ihre Sinne vibrierten vor Hitze, schmeckten den Duft des verbrennenden Holzes. Und als wäre es schon immer ihr eigenes Wissen gewesen, erkannte sie, daß hier einst ein geistiges Feuer gebrannt hatte, das den Wirklichen Menschen ein leuchtendes Fanal ihrer ewigen Zugehörigkeit zu diesem Planeten war. Und als die geistige Flamme erlosch, da hatten sie ihre eigene ewige Flamme hier erschaffen, als ein heiliges Zeichen.
    Tarawassie berührte die steinernen Wände im Vorübergehen, Asche schwärzte ihre Finger. Unter der rußigen Patina konnte sie die sanften Farben der polierten Oberfläche undeutlich erkennen. Und inmitten der tanzenden, blaugoldenen Flamme erkannte sie eine Art seltsamer Grazie. Sie fragte sich, was für einen Sinn die Darstellung haben könnte und hielt eine kurze, erstaunte Sekunde inne, doch dann gewahrte sie eine zweite Vision, die ihr die überirdische Schönheit vor Augen führte, die menschliche Augen beim Betrachten der Geister flamme verspürt hatten, und sie verstand, daß ihr einziger Sinn in ihrer Schönheit lag.
    Zwischen Zukunft und Vergangenheit gefangen, ging sie mit Mondschatten und den Wächtern weiter durch die Dunkelheit zum Fuß eines Gebäudes, das den Platz überragte. Und hier erkannte sie, daß der Platz keineswegs verlassen und nur dem rituellen Feuer überlassen war. Zwei Eingeborene starrten sie aus einem Hausflur heraus an – zwei Frauen, in sackförmige, knielange Kleider gehüllt, die durch Ketten aus glitzerndem Metall gehalten wurden.
    Die Frauen erschauerten, ließen ihre Blicke von ihr zu Mondschatten gleiten, die Gesichter in stummer Abscheu verzogen. Hinter ihnen brannten weitere Feuer in einer großen Halle, kleinere Feuer, um Essen zuzubereiten. Im Innern der Halle konnte sie noch weitere schemenhafte Gestalten erkennen und fragte sich, wie viele dieser Gebäude von den neuen Herren dieser Welt bereits bezögen waren. Ein kleines Kind erschien plötzlich zwischen den beiden Frauen, sein Pelz zeigte eine silbernes Weiß. Wie ein Strahl glitzernden Sternenlichtes umklammerte es das Bein seiner Mutter und verschwand, von deren Hand emporgezogen, in ihrem Beutel. Tarawassies Geist füllte sich mit der Vorstellung weicher, warmer Sicherheit, den zärtlichen Gedanken ihrer Mutter. Die Hand gegen ihren Bauch gepreßt, verschwand die Mutter im Inneren des Gebäudes.
    Die andere Frau blieb, wo sie war, ihr eisengrauer Pelz glättete sich, als Mondschattens Bruder sie ansprach.
    „Schneller Springer.“ Er wies in den freien Raum zwischen ihnen.
    Mit einem Nicken