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Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)

Titel: Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schuler
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Erneuerung, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, eingefahrene Wege zu verlassen, Neues zu wagen. Ich behaupte: Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.«
    Herzog sagt, das gesamte System sei reformbedüftig, nennt Steuern, Renten, Gesundheit und Bildung und fügt hinzu: »Ich vermisse bei unseren Eliten in Politik, Wirtschaft, Medien und gesellschaftlichen Gruppen die Fähigkeit und den Willen, das als richtig Erkannte auch durchzustehe. … Ich rufe auf zur inneren Erneuerung! Vor uns liegt ein langer Weg der Reformen.« Er nennt die Beispiele Arbeitsmarkt, öffentliche Verwaltung und »das Mega-Thema Bildung«. Es könne nicht das Ziel universitärer Bildung sein, mit dreißig einen Doktortitel zu haben, dabei aber keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. »Unsere Hochschulen brauchen deshalb mehr Selbstverwaltung. Ich ermutige zu mehr Wettbewerb und zu mehr Spitzenleistungen.«
    Fast wörtlich benutzt Herzog Mohns Leitgedanken: Andere Länder hätten Lösungen für die Probleme bereits gefunden. Herzog erwähnt die Kommunalverwaltung in Neuseeland, den Sozialstaat in Schweden und den Umgang mit Arbeitslosigkeit in Holland – zufällig Projekte der Bertelsmann Stiftung. Viele notwendige Reformen hätten sich aufgestaut, sagt Herzog. »Aber es ist auch noch nicht zu spät. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen.«
     
    Es war eine Rede, die große Aufmerksamkeit erhielt.
    Sehr große Aufmerksamkeit.
    Noch Jahre später wird man von Herzogs Ruck-Rede sprechen als einem historischen Ereignis. Alle großen Tageszeitungen, von der Süddeutschen Zeitung über die FAZ bis zur Welt und dem Berliner Tagesspiegel , druckten die Rede auf einer ganzen Seite oder in ihren wesentlichen Auszügen. Bereits am Tag danach dokumentierte sie die Welt am Sonntag und schrieb: »Die Rede von Bundespräsident Roman Herzog gestern abend in Berlin zählt zu den bemerkenswertesten politischen Grundsatzreden, die in Deutschland in diesem Jahrzehnt gehalten wurden. Darin verband er Kritik an der politischen Klasse mit Wegweisungen aus der gegenwärtigen Krise Deutschlands.«
    Die Zeitungen diskutierten tagelang, ob die Rede etwas bewirken könne und ob Herzog mit seiner Rede Helmut Kohl angreifen würde. Nachdem fast ein Monat vergangen war, trat Reinhard Mohn mit seiner Stiftung an die Öffentlichkeit. Er kaufte am 23. Mai eine ganze Seite in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Die Titelzeile lautet bürokratisch nüchtern: »Zum Appell des Bundespräsidenten, den Reformstau zu überwinden.« Herzog habe »eine Vision, die unser Land weiterführt« vermittelt, heißt es in einleitenden Worten.
    Mohn fasste Herzogs Rede als Auftrag und Bestätigung auf und schrieb zu dessen Appell: »Dazu nimmt die Bertelsmann Stiftung nach 20jähriger Reformarbeit mit den nachstehenden Aussagen Stellung«. Mohn präsentierte in elf Punkten ein klar gegliedertes, in kurzen Sätzen gefasstes und mit vielen Ausrufezeichen versehenes Programm, das er in diversen Reden, Artikeln, Broschüren, Büchern über mehr als zwanzig Jahre in immer wieder neuen Variationen unters Volk gebracht hat. Vermutlich hatte er dennoch einige Tage nach Herzogs Rede an seinen Formulierungen gefeilt, denn er schrieb noch staatstragender als der Bundespräsident. Seine elf Thesen lesen sich wie unverrückbare Grundsätze:
     
     
Wir erfahren derzeit drastisch, dass gesellschaftliche Ordnungen den Anforderungen der Zeit entsprechen müssen! – Mit den Spielregeln der Vergangenheit können wir im internationalen Wettbewerb nicht Schritt halten.
Neue Wege zu gehen erfordert Mut! – Wir müssen zentralistische Strukturen auflösen und es wagen, Freiheit zu gewähren.
Regeln für die heutigen Aufgaben zu entwickeln erfordert Kreativität, Menschenkenntnis und Urteilsvermögen. – Die Erfahrungen des Auslands können uns dabei helfen.
    So geht es weiter. Mohn formulierte viele Allgemeinplätze, nicht sonderlich interessant und ohne neue Erkenntnisse. Wer will schon widersprechen, wenn jemand nach Kreativität oder Menschlichkeit verlangt? Wenn jemand das hohe Lied der Freiheit singt? Unter Punkt sechs schreibt er, »nicht Gewinnmaximierung allein, sondern auch der Leistungsbeitrag für die Gesellschaft ist entscheidend!« Und »dieser Zielsetzung sind die Ansprüche von Kapital, Führung und Arbeit unterzuordnen.«
    Mohn nutzte die Rede von Herzog,

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